BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
Teilversäumnis- und Schlussurteil
Das Erfordernis der Zustellung einer beglaubigten Abschrift der Klage ist durch das Zustellungsreformgesetz nicht beseitigt worden.
Bei der durch die Geschäftsstelle veranlassten Zustellung einer einfachen statt einer beglaubigten Abschrift der Klageschrift handelt es sich um eine Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften, die nach § 189 ZPO geheilt werden kann.
BGH, Urteil vom 22.12.2015, VI ZR 79/15
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die
mündliche Verhandlung vom 22. Dezember 2015 durch den Vorsitzenden Richter Galke, den Richter Wellner und die Richterinnen Dr. Oehler,
Dr. Roloff und Müller für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 9.
Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 11. Dezember 2014 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsrechtszuges, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
1
Die Klägerin (im Folgenden als "die klagende
Partei" bezeichnet) nimmt die Beklagten im Zusammenhang mit dem Beitritt
zu einem geschlossenen Immobilienfonds in der Rechtsform einer Gesellschaft
bürgerlichen Rechts wegen behaupteter Prospektmängel auf Schadensersatz in Anspruch.
2
Mit ihrer Ende des Jahres 2011 bei dem Landgericht
eingereichten Klage verlangt die klagende Partei Zahlung und Freistellung Zug
um Zug gegen Übertragung des Gesellschaftsanteils sowie Feststellung. Die der
Klage beigefügten Abschriften weisen den Stempel "Beglaubigte
Abschrift" auf, sind aber nicht durch Unterschrift des Rechtsanwalts
beglaubigt. Unter Verwendung dieser Abschriften wurde die Klage den Beklagten
zu 1 und 3 bis 8 noch im Jahr 2011 durch Postzustellungsurkunde zugestellt. Dem
Beklagten zu 2, der unbekannten Aufenthalts ist, wurde die Klageschrift durch
öffentliche Zustellung zugestellt.
3
Das Landgericht hat der Klage - in Bezug auf den Beklagten zu 2 durch Versäumnisurteil - im Wesentlichen stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten zu 1 und 3 bis 8 hat das Berufungsgericht das Urteil des Landgerichts insoweit abgeändert und die Klage abgewiesen. Die Berufung der klagenden Partei, mit der diese die weitergehende Verurteilung aller Beklagten erstrebt hat, hat es zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die klagende Partei ihr Begehren weiter.
Entscheidungsgründe:
I.
4
Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung
ausgeführt, eventuelle Forderungen gegen die Beklagten zu 1 und 3 bis 8 (im
Folgenden Beklagte) seien verjährt. Die Klage sei zunächst nicht rechtshängig
geworden, weil eine beglaubigte Abschrift nicht zugestellt worden sei. Eine
Heilung gemäß § 189 ZPO sei nicht eingetreten. Nach dieser Vorschrift könnten
nur Mängel des Zustellungsvorgangs geheilt werden, nicht aber solche, die dem
zuzustellenden Dokument selbst anhafteten. Rechtshängigkeit sei daher erst - ex
nunc - durch die rügelose Einlassung der Beklagten im
Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht eingetreten. Zu diesem
Zeitpunkt sei die zehnjährige Verjährungsfrist, die gemäß Art. 229 § 6 Abs. 4
Satz 1 EGBGB am 1. Januar 2002 zu laufen begonnen habe, bereits abgelaufen
gewesen.
5
Die Berufung der klagenden Partei gegen den Beklagten zu 2
habe keinen Erfolg, weil die Klage insoweit nicht rechtshängig geworden und
daher unzulässig sei. Die Wirksamkeit der öffentlichen Zustellung setze voraus,
dass eine beglaubigte Abschrift der Klage in der Zeit des Aushangs der
Benachrichtigung auf der Geschäftsstelle tatsächlich vorhanden sei und
eingesehen werden könne. Dies sei nicht der Fall gewesen, weil sich lediglich
eine einfache, nicht aber eine beglaubigte Abschrift der Klage auf der Geschäftsstelle
des Gerichts befunden habe.
II.
6
Die Revision hat Erfolg. Über das Rechtsmittel der klagenden
Partei ist, soweit es sich gegen den Beklagten zu 2 richtet, antragsgemäß durch
Versäumnisurteil zu entscheiden, da er in der mündlichen Verhandlung trotz
ordnungsgemäßer Ladung nicht anwaltlich vertreten war. Inhaltlich beruht das
Urteil indessen nicht auf der Säumnis, sondern auf einer Sachprüfung (BGH,
Urteil vom 4. April 1962 - V ZR 110/60, BGHZ 37, 79, 81 ff.).
7
1. Mit der Begründung des Berufungsgerichts kann eine
Verjährung der von der klagenden Partei gegen die Beklagten geltend gemachten
Ansprüche nicht bejaht werden. Die Ansprüche sind durch die im Jahr 2011
erfolgte Zustellung der Klageschrift rechtshängig geworden, § 261 Abs. 1, § 253
Abs. 1, §§ 166, 168, 169, 189 ZPO, so dass die gemäß Art. 229 § 6 Abs. 4 Satz 1
EGBGB seit dem 1. Januar 2002 laufende Verjährungsfrist gemäß § 204 Abs. 1 Nr.
1 BGB gehemmt worden ist.
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a) Zwar geht das Berufungsgericht zutreffend davon aus, dass
zur Erhebung der Klage die Zustellung einer beglaubigten Abschrift der
Klageschrift erforderlich ist, § 253 Abs. 1, §§ 166 ff. ZPO.
9
aa) Die Erhebung der Klage erfolgt
durch Zustellung eines Schriftsatzes (Klageschrift), § 253 Abs. 1 ZPO.
Zustellung ist die Bekanntgabe eines Dokuments an eine Person in der in dem
Titel 2 des ersten Buches der Zivilprozessordnung (§§ 166 ff. ZPO) bestimmten
Form, § 166 Abs. 1 ZPO. Dokumente, deren Zustellung vorgeschrieben ist, sind
von Amts wegen zuzustellen, soweit nicht ein anderes bestimmt ist, § 166 Abs. 2
ZPO. Die nach dieser Vorschrift von Amts wegen zuzustellenden Dokumente können
grundsätzlich in Urschrift, Ausfertigung oder (beglaubigter) Abschrift
zugestellt werden. Dabei ist die Zustellung einer beglaubigten Abschrift stets
dann ausreichend, wenn das Gesetz keine andere Regelung enthält. Denn eine
besondere Form der Zustellung hat der Gesetzgeber ausdrücklich speziellen
materiell- oder prozessrechtlichen Vorschriften vorbehalten (BGH, Beschluss vom
9. Juni 2010 - XII ZB 132/09, BGHZ 186, 22 Rn. 13; BT-Drucks. 14/4554, S.15 f.).
10
bb) Die von der Revision dagegen
vorgebrachten Einwände greifen nicht durch. Durch das Gesetz zur Reform des
Verfahrens bei Zustellungen im gerichtlichen Verfahren vom 25. Juni 2001
(Zustellungsreformgesetz, BGBl. I S. 1206) ist das Erfordernis der Zustellung
einer beglaubigten Abschrift der Klage nicht beseitigt worden (BGH, aaO; ebenso
Hüßtege in Thomas/Putzo, ZPO, 36. Aufl., § 169 Rn. 9; PG/Tombrink,
ZPO, 7. Aufl., § 169 Rn. 4; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 17.
Aufl., § 75 Rn. 9; Roth in Stein/ Jonas, ZPO, 22. Aufl., § 169 Rn. 7;
Zöller/Stöber, ZPO, 30. Aufl., § 169 Rn. 12; Rohe in Wieczorek/Schütze, ZPO, 4.
Aufl. 2013, § 169 Rn. 9, 20; aA Münch-KommZPO/Häublein, 4. Aufl. 2013, § 169 Rn. 3). Zwar ist seit
Inkrafttreten des Zustellungsreformgesetzes eine der Vorschrift des § 170 Abs.
1 ZPO aF ent9sprechende Regelung, wonach die
Zustellung, wenn eine Ausfertigung zuzustellen war, in deren Übergabe, in den
übrigen Fällen in der Übergabe einer beglaubigten Abschrift des zuzustellenden
Schriftstücks bestand, im Gesetz nicht mehr enthalten. Gleichwohl lässt der
Bedeutungszusammenhang der Vorschriften über die Zustellung, ihre
Entstehungsgeschichte und ihr Sinn und Zweck nur die Auslegung zu, dass entsprechend
dem früheren Rechtszustand die Zustellung einer beglaubigten Abschrift stets
dann ausreichend, aber auch erforderlich ist, wenn das Gesetz keine andere
Regelung enthält.
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(1) Das Gesetz setzt die Notwendigkeit einer Beglaubigung
nach wie vor voraus (vgl. Rohe in Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl., § 169 Rn.
20). Die Klageschrift sowie sonstige Anträge und Erklärungen einer Partei, die
zugestellt werden sollen, sind bei dem Gericht schriftlich unter Beifügung der
für ihre Zustellung oder Mitteilung erforderlichen Zahl von Abschriften
einzureichen, § 253 Abs. 5 Satz 1 ZPO. Gemäß § 169 Abs. 2 ZPO in der Fassung
des Zustellungsreformgesetzes wird die Beglaubigung von der Geschäftsstelle
vorgenommen. Dies gilt auch, soweit von einem Anwalt eingereichte Schriftstücke
nicht bereits von diesem beglaubigt wurden.
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(2) Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber des
Zustellungsreformgesetzes mit der Aufhebung der Regelung des § 170 Abs. 1 ZPO
aF bezweckte, in den Fällen, in denen das Gesetz keine ausdrückliche Regelung
enthält, die Zustellung einer einfachen Abschrift ausreichen zu lassen, ergeben
sich aus der Entstehungsgeschichte nicht. Die Gesetzesbegründung enthält dazu
keine Ausführungen, obwohl dies bei einer beabsichtigten Änderung des
bisherigen - seit Inkrafttreten der Zivilprozessordnung vom 30. Januar 1877
(RGBl. S. 83) am 1. Oktober 1879 geltenden (vgl. Hahn, Mat. II, S. 230 f. zu §§
166-168) -Rechtszustandes aufgrund der erheblichen Bedeutung für die Praxis zu
erwarten gewesen wäre. Im Gegenteil geht die Gesetzesbegründung davon aus, dass
Schriftstücke (nur) entweder in Urschrift, Ausfertigung oder beglaubigter
Abschrift zuzustellen sind (BT-Drucks. 14/4554, S. 16). Der Gesetzgeber sah es
ferner als erforderlich an, die Beglaubigungsbefugnisse der Geschäftsstelle und
des Anwalts weiterhin zu regeln. Vor diesem Hintergrund liegt nahe, dass bei
der Erstellung des Entwurfs des Zustellungsreformgesetzes schlicht übersehen
worden ist, dass die Vorschrift des § 170 Abs. 1 ZPO aF nicht nur die in die
Regelungen der § 166 Abs. 1, § 177 ZPO überführte Definition der Zustellung
enthielt, sondern zudem bestimmte, dass die Übergabe mangels anderer materiell-
oder prozessrechtlicher Vorschriften in beglaubigter Abschrift zu geschehen
hat.
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(3) Der Sinn und Zweck der Beglaubigung wird durch das
Zustellungsreformgesetz nicht in Frage gestellt. Der Beglaubigung kommt nach
wie vor erhebliche Bedeutung zu, wenn das Gesetz keine andere Form - wie etwa
die Ausfertigung - erfordert. Durch den Akt der Beglaubigung soll die Übereinstimmung
zwischen Urschrift und Abschrift hinreichend sichergestellt werden (vgl. Hahn,
Mat. II, S. 231 zu §§ 166-168). Es sollen die Schwierigkeiten vermieden werden,
die entstehen, wenn eine Abschrift zugestellt wird, die nicht mit der Urschrift
übereinstimmt. Deshalb hat der Beglaubigende zu erklären, die zuzustellende
Abschrift sei von ihm mit der in seinem Besitz befindlichen Vorlage verglichen
worden und stimme mit dieser völlig überein. Die Beglaubigung ist daher nach
wie vor ein wesentliches Erfordernis des Zustellungsaktes. Ohne sie ist die
Zustellung unwirksam (vgl. BGH, Urteil vom 4. Februar 1971 - VII ZR 111/70,
BGHZ 55, 251, 252; BGH, Urteil vom 12. März 1980 - VIII ZR 115/79, BGHZ 76,
222, 227).
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b) Zu Unrecht meint das Berufungsgericht aber, der Mangel
der ordnungsgemäßen Zustellung der Klageschrift an die Beklagten sei nicht
dadurch geheilt worden, dass ihnen einfache Abschriften der Klageschrift
zugestellt worden sind, § 189 ZPO.
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Lässt sich die formgerechte Zustellung eines Dokuments nicht
nachweisen oder ist das Dokument unter Verletzung zwingender
Zustellungsvorschriften zugegangen, so gilt es in dem Zeitpunkt als zugestellt,
in der das Dokument der Person, an die die Zustellung dem Gesetz gemäß
gerichtet war oder gerichtet werden konnte, tatsächlich zugegangen ist, § 189
ZPO. So liegt es hier hinsichtlich der an die Beklagten gerichteten
Zustellungen.
16
aa) Die Klageschrift ist den
Beklagten tatsächlich zugegangen. Dass und in welchen Teilen die ihnen
zugestellten Abschriften die Klageschrift nach Inhalt und Fassung nicht
vollständig wiedergeben, haben sie nicht geltend gemacht. Jedenfalls ist
zugunsten der Revision zu unterstellen, dass die zugestellten Abschriften mit
der Urschrift der Klage deckungsgleich sind, nachdem das Berufungsgericht
Feststellungen dazu nicht getroffen hat.
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bb) Zu Unrecht geht das
Berufungsgericht davon aus, nach der Vorschrift des § 189 ZPO sei eine Heilung
nur möglich, wenn der Empfänger eine beglaubigte Abschrift der Klageschrift
erhalten habe, und lediglich der Zustellungsvorgang selbst Mängel aufweise.
Diese Auslegung wird der Vorschrift nicht gerecht. Sie ist vielmehr nach ihrem
Wortlaut, dem Bedeutungszusammenhang, ihrem Sinn und Zweck und der
Entstehungsgeschichte dahin auszulegen, dass es sich bei der durch die
Geschäftsstelle veranlassten Zustellung einer einfachen statt einer
beglaubigten Abschrift der Klageschrift um eine Verletzung zwingender
Zustellungsvorschriften handelt, die nach § 189 ZPO geheilt werden kann (so
auch MünchKommZPO/Häublein,
4. Aufl., § 169 Rn. 4, § 189 Rn. 7; Wittschier in Musielak/Voit, ZPO, 12.
Aufl., § 189 Rn. 2; Rosenberg/ Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 17. Aufl., §
75 Rn. 16; Hüßtege in Thomas/Putzo, ZPO, 36. Aufl., § 189 Rn. 6; Zimmermann,
ZPO, 9. Aufl., § 189 Rn. 2; aA Roth in Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl., § 189 Rn.
16; PG/Tombrink, ZPO, 7. Aufl., § 189 Rn. 2; Rohe in
Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl., ZPO § 169 Rn. 20; Zöller/Stöber, ZPO, 30.
Aufl., § 189 Rn. 8; Hartmann in Baumbach/Lauterbach, ZPO, 73. Aufl., § 189 Rn.
7).
18
(1) Die Vorschrift des § 189 ZPO setzt eine Verletzung
zwingender Zustellungsvorschriften voraus. Welche Vorschriften
Zustellungsvorschriften in diesem Sinne sind, ist nach dem Wortlaut der
Vorschrift nicht eindeutig, sondern durch Auslegung zu ermitteln.
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Nach überwiegender - allerdings in Zweifel gezogener (BGH,
Beschluss vom 24. März 1987 - KVR 10/85, BGHZ 100,
234, 238 f.) - Ansicht zu dem Rechtszustand vor Inkrafttreten des
Zustellungsreformgesetzes war die Regelung des § 170 Abs. 1 ZPO aF als
Zustellungsvorschrift anzusehen (BGH, Urteile vom 11. März 1954 - III ZR
377/52, BeckRS 2015, 10045; vom 8. Oktober 1964 - III ZR 152/63, NJW 1965, 104;
vom 25. Januar 1980 - V ZR 161/76, NJW 1980, 1754, 1755; vgl. auch OLG
Frankfurt, Urteil vom 30. Dezember 2013 - 21 U 23/11, juris
Rn. 54). Begründet wurde dies zum einen mit ihrer Stellung bei den
Zustellungsvorschriften sowie zum anderen damit, dass das zuzustellende
Schriftstück im Sinne von § 187 ZPO aF die Klageschrift (selbst) sei und die
Beglaubigung der Abschrift nur zur Wahrung der vorgeschriebenen Form der
Zustellung gehöre (BGH, Urteil vom 11. März 1954 - III ZR 377/52, aaO).
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Dem schließt sich der Senat für den Fall der Zustellung der
Klageschrift auch für den heutigen Rechtszustand nach Inkrafttreten des
Zustellungsreformgesetzes an. Das Erfordernis, bei dem Zustellungsakt eine
beglaubigte Abschrift der Klageschrift zu verwenden, stellt eine
Zustellungsvorschrift im Sinne von § 189 ZPO (§ 187 ZPO aF) dar. Zuzustellendes
Dokument ist gemäß § 253 Abs. 1 in Verbindung mit § 166 Abs. 1 ZPO (§ 170 Abs.
1 ZPO aF) die Klageschrift. Wie und in welcher Form ihre Zustellung zu erfolgen
hat - durch Übergabe einer beglaubigten Abschrift, deren Einlegung in den
Briefkasten oder Niederlegung gemäß § 166 Abs. 1, §§ 177 ff. ZPO - ist Teil des
in den Zustellungsvorschriften festgelegten Zustellungsvorgangs (vgl. OLG
Frankfurt, Urteil vom 30. Dezember 2013 - 21 U 23/11, juris
Rn. 54; MünchKommZPO/Häublein,
4. Aufl., § 169 Rn. 4, § 189 Rn. 7).
21
(2) Nur diese Auslegung entspricht auch dem Sinn und Zweck
der Heilungsvorschrift des § 189 ZPO. Allgemein hat § 189 ZPO den Sinn, die
förmlichen Zustellungsvorschriften nicht zum Selbstzweck erstarren zu lassen,
sondern die Zustellung auch dann als bewirkt anzusehen, wenn der
Zustellungszweck anderweitig erreicht wird. Der Zweck der Zustellung ist es,
dem Adressaten angemessene Gelegenheit zu verschaffen, von einem Schriftstück
Kenntnis zu nehmen, und den Zeitpunkt der Bekanntgabe zu dokumentieren (BGH,
Urteile vom 27. Januar 2011 - VII ZR 186/09, BGHZ 188, 128 Rn. 47; vom 19. Mai
2010 - IV ZR 14/08, VersR 2010, 1520 Rn. 16; BT-Drucks. 14/4554, S. 24; vgl.
auch BVerwGE 104, 301, 313 f.; BFHE
192, 200, 206; jeweils zu § 9 Abs. 1 VwZG aF).
22
Ist die Gelegenheit zur Kenntnisnahme - wie hier -
gewährleistet und steht der tatsächliche Zugang fest, bedarf es besonderer
Gründe, die Zustellungswirkung entgegen dem Wortlaut der Regelung in § 189 ZPO
nicht eintreten zu lassen (BGH, Urteil vom 27. Januar 2011 - VII ZR 166/09,
aaO). Solche sind bei der Zustellung einer Klageschrift - anders als in den
Fällen, in denen beispielsweise durch die Zustellung einer Ausfertigung von
vornherein jegliche Zweifel an der Authentizität und Amtlichkeit
des zugestellten Schriftstücks ausgeschlossen sein sollen (vgl. BGH, Beschluss
vom 24. März 1987 - KVR 10/85, BGHZ 100, 234, 237,
241, zu einer Untersagungsverfügung des Bundeskartellamts; BGH, Beschluss vom
9. Juni 2010 - XII ZB 132/09, BGHZ 186, 22, Rn. 7 ff.) - nicht ersichtlich.
23
Soweit eingewendet wird, es sei dem Empfänger nicht
zuzumuten, die Authentizität der bei der Zustellung verwendeten Abschrift
selbst zu prüfen (Rohe in Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl., ZPO § 169 Rn. 20, §
189 Rn. 14), greift das zu kurz. Der Empfänger ist allerdings nicht gehalten,
die Übereinstimmung der ihm zugestellten Abschrift mit der Urschrift der
Klageschrift selbst zu überprüfen. Stellt er die fehlende Beglaubigung der ihm
übergebenen Abschrift fest, steht es ihm frei, dies zu rügen, gegebenenfalls
Fristverlängerung zu beantragen und von der Geschäftsstelle, die die
zuzustellenden Schriftstücke gemäß § 169 Abs. 2 ZPO zu beglaubigen hat, die
Klärung zu verlangen, ob die ihm zugestellte Abschrift der Urschrift in Fassung
und Inhalt vollständig entspricht. Auf diesem Weg tritt im Interesse aller
Prozessbeteiligten möglichst schnell zutage, ob die Verletzung der
Zustellungsvorschriften gemäß § 189 ZPO geheilt worden ist, oder die Zustellung
wiederholt werden muss.
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Auch dann, wenn - wie hier - die fehlende Beglaubigung erst
im Laufe des Prozesses erkannt wird, hat der Zustellungsempfänger durch die
Heilung keine Rechtsnachteile zu befürchten. Denn eine Heilung tritt nur ein,
wenn ihm die Klageschrift tatsächlich zugegangen war, § 189 ZPO (vgl. BGH,
Urteil vom 11. März 1954 - III ZR 377/52, BeckRS 2015, 10045). Im Übrigen
können Abweichungen einer zugestellten Abschrift oder Ausfertigung von der
Urschrift nicht zu Lasten des Zustellungsempfängers gehen (Hahn, Mat. II, S.
231, zu §§ 166-168; vgl. auch Senat, Urteil vom 26. Oktober 1976 - VI ZR
249/75, BGHZ 67, 284, 288, zur Zustellung einer Urteilsausfertigung; BAG, NZA
2015, 701 Rn. 39; Roth in Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl., § 169 Rn. 15).
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(3) Aus der Entstehungsgeschichte des
Zustellungsreformgesetzes ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass der
Gesetzgeber mit der Aufhebung der Regelung des § 170 Abs. 1 ZPO aF bezweckte,
die Möglichkeit der Heilung einzuschränken (vgl. aber Roth in Stein/Jonas, ZPO,
22. Aufl., § 189 Rn. 16). Eine solche Einschränkung verträgt sich weder mit dem
Ziel des Zustellungsreformgesetzes, die Zustellung zu vereinfachen und die
Heilungsmöglichkeit gemäß dem Vorbild des § 9 Abs. 1 VwZG aF auch auf
Zustellungen auszudehnen, die den Lauf einer Notfrist in Gang setzen
(BT-Drucks. 14/4554, S. 13 f., 24 f.; OLG Frankfurt, Urteil vom 30. Dezember
2013 - 21 U 23/11, juris Rn. 54), noch damit, dass
zwischenzeitlich durch die Einfügung von § 169 Abs. 3 ZPO durch das Gesetz zur
Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten vom 10. Oktober
2013 (BGBl. I S. 3786) zur Vereinfachung der Geschäftsabläufe die Möglichkeit
der zentralen maschinellen Fertigung beglaubigter Abschriften eingeführt worden
ist.
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Auch dem Umstand, dass die Gesetzesbegründung zu der
Vorschrift des § 189 ZPO auf Mängel bei der "Ausführung der
Zustellung" abhebt (BT-Drucks. 14/4554, S. 24), lässt sich nicht
entnehmen, dass eine Heilung von Mängeln des zuzustellenden Schriftstücks nach
dem Willen des Gesetzgebers nicht möglich sein sollte (vgl. aber Rohe in
Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl., § 189 Rn. 14). Die Ausführung der Zustellung
kann vielmehr ebenso wie der Begriff des Zustellungsvorgangs auch die Frage
umfassen, welche Form das in Ausführung der Zustellung zu übergebende
Schriftstück aufzuweisen hat.
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(4) Entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung steht einer
Heilung gemäß § 189 ZPO schließlich nicht entgegen, dass dadurch das
grundsätzliche Erfordernis der Zustellung einer beglaubigten Abschrift der
Klageschrift auf Umwegen wieder aufgegeben würde. Die Aufgabe zwingender
Zustellungsvorschriften in jenen (Einzel-)Fällen, in denen es - aus welchen
Gründen auch immer - zu ihrer Verletzung gekommen ist, ist jeder Heilung
immanent. Sie findet ihre Begründung in der Prozesswirtschaftlichkeit und der
materiellen Gerechtigkeit; Verfahrensvorschriften - auch
Zustellungsvorschriften - sind kein Selbstzweck (Gemeinsamer Senat der Obersten Gerichtshöfe des Bundes, Beschluss vom 30. April
1979 - GmS - OGB 1/78, BGHZ
75, 340, 348; Hartmann in Baumbach/Lauterbach, ZPO, 73. Aufl., § 189 Rn. 2,
Einl III Rn. 10, 36 ff.; vgl. auch BGH, Urteil vom 28. Oktober 1954 - III ZR
327/52, BGHZ 15, 142, 144). Das bedeutet indes nicht, dass kein Wert auf eine
korrekte Zustellung zu legen wäre (Hartmann, aaO, § 189 Rn. 2). Denn nur so
kann im Regelfall die Übereinstimmung zwischen Urschrift und Abschrift
sichergestellt und die Zustellung von der Urschrift abweichender Abschriften
möglichst vermieden werden.
28
2. Mit der von dem Berufungsgericht gegebenen Begründung
kann die Wirksamkeit der öffentlichen Zustellung der Klageschrift an den
Beklagten zu 2 nicht verneint werden.
29
a) Die Zustellung kann durch öffentliche Bekanntmachung (öffentliche Zustellung) erfolgen, wenn der Aufenthaltsort einer Person unbekannt und eine Zustellung an einen Vertreter oder Zustellungsbevollmächtigten nicht möglich ist, § 185 Nr. 1 ZPO. Die öffentliche Zustellung erfolgt nach Bewilligung durch das Prozessgericht durch Aushang einer Benachrichtigung an der Gerichtstafel oder durch Einstellung in ein elektronisches Informationssystem, das im Gericht öffentlich zugänglich ist, § 186 Abs. 2 Satz 1 ZPO. Die Benachrichtigung muss die Person, für die zugestellt wird, den Namen und die letzte bekannte Anschrift des Zustellungsadressaten, das Datum, das Aktenzeichen des Schriftstücks und die Bezeichnung des Prozessgegenstandes sowie die Stelle, wo das Schriftstück eingesehen werden kann, erkennen lassen, § 186 Abs. 2 Satz 3 ZPO.
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b) Schon dem eindeutigen Wortlaut dieser Vorschriften lässt
sich nicht entnehmen, dass - wie das Berufungsgericht ohne Begründung annimmt -
zusätzlich zu der auf der Geschäftsstelle vorhandenen und dort einsehbaren
Urschrift der Klage eine beglaubigte Abschrift hätte vorgehalten werden müssen.
Im Gegensatz zu dem vor dem Zustellungsreformgesetz geltenden Rechtszustand
(vgl. BGH, Urteil vom 12. März 1980 - VIII ZR 115/79, BGHZ 76, 222, 223, 227
ff.) ist der Aushang einer beglaubigten Abschrift der Klageschrift zum Schutz
des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung nicht mehr vorgesehen
(BT-Drucks. 14/4554, S. 24).
III.
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Das Berufungsurteil kann daher keinen Bestand haben, sondern ist aufzuheben. Die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).