BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
In der widerspruchslosen Entgegennahme des zustellenden Schriftstücks durch eine in den Geschäftsräumen beschäftigte Person (§ 178 I Nr. 2 ZPO) liegt zugleich die (konkludente) Erklärung, dass der Zustellungsadressat abwesend beziehungsweise an der Entgegennahme der Zustellung verhindert ist. Weitere Nachforschungen des Zustellers sind dann regelmäßig nicht veranlasst.
BGH, Beschluss vom 4. Februar 2015 - III ZR 513/13 - OLG
Frankfurt am Main, LG Gießen
in dem Rechtsstreit
Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 4. Februar
2015 durch den Vizepräsidenten Schlick und die Richter Dr. Herrmann, Wöstmann, Seiters und Reiter
beschlossen:
Die Beschwerden der Beklagten gegen die Nichtzulassung der
Revision in dem Beschluss des 19. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt
am Main vom 14. Oktober 2013 - 19 U 163/13 -werden zurückgewiesen.
Die Beklagten tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens (§
97 Abs. 1 ZPO).
Streitwert: 114.240 €
Gründe:
I.
1
Die Klägerin macht gegen die beiden Beklagten, eine
Kommanditgesellschaft und ihre Komplementärin, eine GmbH, als Gesamtschuldner
Zahlungsansprüche aus einem Maklervertrag sowie vorgerichtliche Anwaltskosten
geltend.
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Durch Versäumnisurteil des Landgerichts vom 29. Januar 2013
wurden die Beklagten verurteilt, an die Klägerin 114.240 € sowie
vorgerichtliche Anwaltskosten von 2.237,56 € jeweils nebst Zinsen zu zahlen.
Ausweislich der Postzustellungsurkunden wurde das Versäumnisurteil am 1.
Februar 2013 unter der Geschäftsadresse "F., G." an beide Beklagten
durch Übergabe an die bei der Beklagten zu 1 beschäftigte L. S. zugestellt.
Dabei vermerkte der Zusteller jeweils in den Zustellungsurkunden, den
Zustellungsadressaten (den Geschäftsführer der Beklagten zu 2 als deren gesetzlichen
Vertreter) in dem Geschäftsraum nicht erreicht zu haben.
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Mit Telefax vom 26. Februar 2013 haben die Beklagten
Einspruch gegen das Versäumnisurteil eingelegt.
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In Bezug auf die fristgerechte Einlegung des Einspruchs
haben sie geltend gemacht, die Zustellung des Versäumnisurteils sei nicht
wirksam erfolgt. Der Zusteller habe die beiden Schriftstücke ohne jede
Nachfrage bei der Mitarbeiterin S. abgegeben, obwohl der Geschäftsführer der
Beklagten zu 2 in den Geschäftsräumen anwesend und zur Annahme der Zustellung
bereit gewesen sei. Am 22. Februar 2013 habe der Geschäftsführer erstmals von
dem Versäumnisurteil Kenntnis erlangt.
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Das Landgericht hat den Einspruch durch Urteil gemäß § 341
ZPO als unzulässig verworfen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Beklagten
nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen.
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Dagegen wenden sich die Beklagten mit der
Nichtzulassungsbeschwerde.
II.
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Zulassungsgründe liegen nicht vor. Insbesondere hat die
Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO).
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1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs
hat eine Rechtssache grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine
entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage
aufwirft, die sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen kann und
deswegen das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen
Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt, das heißt allgemein von
Bedeutung ist (grundlegend BGH, Beschlüsse vom 4. Juli 2002 - V ZB 16/02, BGHZ
151, 221, 223 f und vom 27. März 2003 - V ZR 291/02, BGHZ 154, 288, 291 f).
Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage dann, wenn die durch das Berufungsurteil
aufgeworfene Rechtsfrage zweifelhaft ist, also über Umfang und Bedeutung einer
Rechtsvorschrift Unklarheiten bestehen. Derartige Unklarheiten bestehen unter
anderem in den Fällen, in denen die Rechtsfrage vom Bundesgerichtshof bisher
nicht entschieden ist und von einigen Oberlandesgerichten unterschiedlich
beantwortet wird, oder wenn in der Literatur unterschiedliche Meinungen
vertreten werden. Klärungsbedürftige Unklarheiten liegen dagegen nicht vor,
wenn abweichende Ansichten in der Literatur vereinzelt geblieben und nicht oder
nicht nachvollziehbar begründet sind (BGH, Beschluss vom 8. Februar 2010 - II
ZR 54/09, NJW-RR 2010, 1047 Rn. 3 mwN).
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2. Danach hat die Rechtssache keine grundsätzliche
Bedeutung. Die von der Beschwerde formulierte Rechtsfrage, ob das für die
Ersatzzustellung in den Geschäftsräumen nach § 178 Abs. 1 Nr. 2 ZPO
erforderliche Tatbestandsmerkmal des "Nichtantreffens" des
Zustellungsadressaten eine ausdrückliche Nachfrage des Zustellers nach der
Anwesenheit des Adressaten voraussetzt, ist nicht klärungsbedürftig. Die hierzu
veröffentlichte Rechtsprechung der Oberlandesgerichte ist einheitlich. Davon abweichende,
nicht näher begründete Stimmen in der Literatur sind vereinzelt geblieben.
Darauf, dass der Bundesgerichtshof die Rechtsfrage noch nicht entschieden hat,
kommt es nicht an (Zöller/ Heßler, ZPO, 30. Aufl., § 543 Rn. 11 mwN).
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a) Nach der oberlandesgerichtlichen Rechtsprechung ist das
Merkmal des "Nichtantreffens" des gesetzlichen Vertreters als
Voraussetzung für eine Ersatzzustellung in Geschäftsräumen bereits dann
erfüllt, wenn der gesetzliche Vertreter als abwesend oder verhindert bezeichnet
wird. Ob dies zutrifft, ist unerheblich; insbesondere muss der Zusteller keine
eigenen Nachforschungen darüber anstellen, zumal gerichtliche Zustellungen ein
Massengeschäft sind und bei juristischen Personen die Ersatzzustellung
inzwischen den Regelfall darstellt (OLG Frankfurt am Main, WM 1996, 699; NJW-RR
1998, 1684; OLG Köln, OLGR 2001, 116, 117; siehe auch FG Hamburg, Urteil vom
30. Januar 2004 - III 320/03, juris Rn. 97 und OVG
Berlin-Brandenburg, NJW 2012, 951, 952). In Übereinstimmung mit dieser Rechtsprechung
ist das Berufungsgericht zutreffend davon ausgegangen, dass in der
widerspruchslosen Entgegennahme des zuzustellenden Schriftstücks durch eine in
den Geschäftsräumen beschäftigte Person (§ 178 Abs. 1 Nr. 2 ZPO) zugleich die
(konkludente) Erklärung liegt, der Zustellungsadressat sei abwesend
beziehungsweise an der Entgegennahme der Zustellung verhindert, und weitere
Nachforschungen des Zustellers regelmäßig nicht veranlasst sind. Der Umstand,
dass die vorgenannte oberlandesgerichtliche Rechtsprechung zu §§ 183, 184 ZPO
in der bis zum 30. Juni 2002 geltenden Fassung ergangen ist, ist für die
Entscheidung der Streitfrage ohne Bedeutung. Die Neuregelung des
Zustellungsrechts durch das Zustellungsreformgesetz vom 25. Juni 2001 (BGBl. I
S. 1206) hat insoweit keine Änderung gebracht. Sowohl nach § 183 Abs. 1, § 184
Abs. 1 ZPO aF als auch nach § 178 Abs. 1 Nr. 2 ZPO nF hängt die Wirksamkeit der
Ersatzzustellung in den Geschäftsräumen davon ab, dass der Zustellungsadressat
"nicht angetroffen" wird. Durch das Zustellungsreformgesetz wurde an
dem "Nichtantreffen" des Zustellungsadressaten als (gemeinsame)
Voraussetzung für sämtliche in § 178 Abs. 1 ZPO geregelten Arten der
Ersatzzustellung festgehalten (BT-Drucks. 14/4554 S. 20). Nach dem Willen des Gesetzgebers,
der eine Vereinheitlichung und Vereinfachung der Ersatzzustellung in einem
Geschäftslokal bezweckte (BT-Drucks. aaO S. 1, 13 f), besteht dabei keine
Verpflichtung des Zustellers zur ausdrücklichen Nachfrage nach der Person des
Zustellungsadressaten. Es reicht aus, dass er den Zustellungsadressaten in dem
Geschäftsraum, in dem sich der Publikumsverkehr abspielt, nicht antrifft. In
diesem Fall kann er das zuzustellende Schriftstück an eine dort beschäftigte
Person übergeben (BT-Drucks. aaO S. 20).
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b) Eine Verpflichtung des Zustellers zur ausdrücklichen
Nachfrage ergibt sich auch nicht aus dem von der Beschwerde in Bezug genommenen
Urteil des Bundesgerichtshofs vom 14. März 1990 (VIII ZR 204/89, BGHZ 111, 1,
6). Diese Entscheidung ist nicht einschlägig. Sie betrifft nicht die
Ersatzzustellung in Geschäftsräumen, sondern die Ersatzzustellung in der
Wohnung des Zustellungsadressaten an dessen nichteheliche Lebensgefährtin nach
§ 181 Abs. 1 ZPO aF. In einem solchen Fall musste der Zusteller die
Voraussetzungen der Ersatzzustellung ("zur Familie gehörender Hausgenosse")
durch Befragen des Angetroffenen ermitteln, wenn er die Beziehung des
Adressaten zu dem in der Wohnung Angetroffenen nicht kannte und sie ihm auch
nicht unaufgefordert genannt wurde. Hier liegt der Fall auch deshalb anders,
weil es sich bei der zur Entgegennahme der Zustellung in den Geschäftsräumen
der Beklagten zu 1 bereiten Ersatzperson ersichtlich um eine bei dieser
beschäftigte Mitarbeiterin im Sinne von § 178 Abs. 1 Nr. 2 ZPO handelte, so
dass kein Anlass zu Zweifeln bestand.
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c) Die dargestellte Rechtsprechung der Oberlandesgerichte,
wonach eine ausdrückliche Nachfrage des Zustellers nach der Anwesenheit
beziehungsweise Annahmebereitschaft des Zustellungsadressaten nicht
erforderlich ist und es für eine wirksame Ersatzzustellung nach § 178 Abs. 1
Nr. 2 ZPO genügt, wenn eine in den Geschäftsräumen beschäftigte Person zur
Annahme bereit ist, wird vom ganz überwiegenden Schrifttum nicht in Frage
gestellt (vgl. Baumbach/Lauterbach, ZPO, 73. Aufl., § 178 Rn. 4; Hk-ZPO/Eichele, 5. Aufl., § 178
Rn. 4; MüKoZPO/Wenzel, 2. Aufl., § 181 Rn. 11 und § 183 Rn. 4; Musielak/Wittschier,
ZPO, 11. Aufl., § 178 Rn. 2; Prütting/Gehrlein/Tombrink/Kessen,
ZPO, 6. Aufl., § 178 Rn. 2; Zöller/Stöber, ZPO, 30. Aufl., § 176 Rn. 2; unklar BeckOK ZPO/Dörndorfer, § 178 Rn.
2; Thomas/Putzo, ZPO, 35. Aufl., § 178 Rn. 5 f). Soweit in der Literatur
vereinzelt - ohne nähere Begründung - eine ausdrückliche Nachfrage des
Zustellers verlangt wird (Stein/Jonas/Roth, ZPO, 22. Aufl., § 178 Rn. 5 unter
Hinweis auf BFHE 173, 213, 215; diese - ohnehin einen
anders gelagerten Sachverhalt betreffende - Entscheidung befasst sich jedoch,
ebenso wie die Entscheidung BGHZ 111, 1, mit der Ersatzzustellung an einen
Familienangehörigen gemäß § 181 Abs. 1 ZPO aF; Roth folgend MüKoZPO/ Häublein, 4. Aufl., § 178 Rn. 4 Fn. 14 und wohl auch
Wieczorek/Schütze/Rohe, ZPO, 4. Aufl., § 178 Rn. 3 Fn. 6; siehe auch LG Bonn,
Beschluss vom 29. September 2011 - 31 T 34/11, juris
Rn. 6), wird dies vom Wortlaut des § 178 Abs. 1 ZPO, der nur voraussetzt, dass
der Zustellungsadressat "nicht angetroffen" wird, nicht gefordert;
diese Gegenauffassung widerspricht auch dem Sinn und Zweck der Vorschriften
über die Ersatzzustellung ("Vereinfachung der Ersatzzustellung"). Die
abweichenden Ansichten vermögen daher keine höchstrichterlich zu klärenden
Unklarheiten über die Voraussetzungen einer wirksamen Ersatzzustellung nach §
178 Abs. 1 Nr. 2 ZPO zu begründen.
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Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 544 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO abgesehen.