Bundesgerichtshof
Urteil
Der Zwangsverwalter eines vermieteten Grundstücks kann eine Räumungsklage auch nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Vermieters nicht auf die insolvenzrechtliche Anfechtbarkeit des Mietvertrages stützen.
BGH, Urteil vom 16.10.2014 - IX ZR 282/13
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 13.
Zivilsenats in Freiburg des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 19. November 2013
aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
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Mit Vertrag vom 18. Dezember 2008 mietete die Beklagte von
der O. GmbH (fortan: Schuldnerin oder Vermieterin) Büro- und Lagerflächen im
Umfang von insgesamt 641 qm auf dem Grundstück S. in V..
Mit einer ergänzenden Vereinbarung vom 22. Oktober 2009 wurden weitere
Räumlichkeiten in den im Übrigen unverändert fortgeltenden Vertrag einbezogen.
Unter dem 23. Oktober 2009 beantragte die Vermieterin die Eröffnung des
Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen. Nach Eröffnung am 30. Juni 2010 focht
der Insolvenzverwalter die Mietverträge an und verlangte die Herausgabe der
Mieträume. Am 15. Dezember 2010 wurde die Zwangsverwaltung des Grundstücks S.
angeordnet und die Klägerin zur Zwangsverwalterin bestellt.
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Mit ihrer am 7. Juni 2011 bei Gericht eingegangenen Klage
hat die Klägerin zunächst Räumung und Herausgabe der Mieträume verlangt. Das
Landgericht hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Während des
Berufungsverfahrens wurde das Grundstück zwangsversteigert. Nachdem der
Erwerber von seinem Sonderkündigungsrecht Gebrauch gemacht und die Beklagte das
Grundstück geräumt hatte, hat die Klägerin die Klage für erledigt erklärt und
beantragt, der Beklagten die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen. Die
Beklagte hat sich der Erledigungserklärung nicht angeschlossen. Sie hat
weiterhin die Abweisung der Klage beantragt. Am 18. April 2012 wurde die
Zwangsverwaltung im Hinblick auf den Zuschlagsbeschluss vom 12. März 2012
aufgehoben. Das Berufungsgericht hat die Berufung der Beklagten mit der Maßgabe
zurückgewiesen, dass der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt sei. Mit ihrer
vom Berufungsgericht zugelassenen Revision will die Beklagte weiterhin die
Abweisung der Klage erreichen.
Entscheidungsgründe:
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Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
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Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Die vom Insolvenzverwalter erklärte Insolvenzanfechtung sei berechtigt und die Beklagte daher zur Räumung der Mietsache verpflichtet gewesen. Die Voraussetzungen einer Anfechtung nach § 133 Abs. 2, § 138 Abs. 2 InsO analog seien erfüllt. Jedenfalls der Vertrag vom 22. Oktober 2010 habe die Gläubiger unmittelbar benachteiligt.
II.
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Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung
nicht stand. Mit der Begründung des Berufungsgerichts kann eine Erledigung der
Hauptsache nicht festgestellt werden.
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1. Die Hauptsache ist erledigt, wenn die Klage im Zeitpunkt
des nach ihrer Zustellung eingetretenen erledigenden Ereignisses zulässig und
begründet war und durch das behauptete Ereignis unzulässig oder unbegründet
wurde (BGH, Urteil vom 17. Juli 2003 - IX ZR 268/02, BGHZ 155, 392, 395; vom
14. März 2014 - V ZR 115/13, WM 2014, 1180 Rn. 7). Die Parteien streiten im
Wesentlichen darüber, ob die Klage im Zeitpunkt der Räumung begründet war.
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2. Grundlage des Anspruchs der Klägerin war § 152 ZVG in
Verbindung mit § 985 BGB.
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a) Nach § 152 Abs. 1 ZVG hat der Verwalter das Recht und die
Pflicht, alle Handlungen vorzunehmen, die erforderlich sind, um das Grundstück
in seinem wirtschaftlichen Bestande zu erhalten und ordnungsmäßig zu benutzen.
Hat ein Dritter das zu verwaltende Grundstück unberechtigt in Besitz, kann und
muss der Verwalter die Herausgabe des Grundstücks betreiben. War das
Grundstück vor der Beschlagnahme einem Mieter oder Pächter
überlassen worden, so ist der Miet- oder Pachtvertrag gemäß § 152 Abs. 2 ZVG
allerdings auch dem Verwalter gegenüber wirksam.
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b) Die Beklagte hatte den Besitz der Räumlichkeiten, deren
Herausgabe und Räumung die Klägerin verlangt hat, aufgrund der Verträge vom 18.
Dezember 2008 und vom 22. Oktober 2009 erlangt. Diese Verträge und das aus
ihnen folgende Recht zum Besitz wirken gemäß § 152 Abs. 2 ZVG auch gegenüber
der Klägerin, wenn sie nicht nach den allgemeinen Vorschriften nichtig oder
wirksam gekündigt worden sind. Entgegen der Ansicht der Vorinstanzen und der
Klägerin kann aus der vom Insolvenzverwalter über das Vermögen der Vermieterin
erklärten, aber nicht weiterverfolgten Anfechtung eine Nichtigkeit der
vertraglichen Vereinbarungen vom 18. Dezember 2008 und vom 22. Oktober 2009
nicht hergeleitet werden.
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aa) Gemäß § 129 Abs. 1 InsO kann
der Insolvenzverwalter nach Maßgabe der §§ 130 bis 146 InsO die
Rechtshandlungen anfechten, die vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens
vorgenommen worden sind und die Insolvenzgläubiger benachteiligen. Anders als
die in §§ 119 ff BGB geregelte zivilrechtliche Anfechtung einer
Willenserklärung ist die Insolvenzanfechtung kein Gestaltungsrecht, sondern ein
schuldrechtlicher Anspruch (BGH, Urteil vom 21. September 2006 - IX ZR 235/04,
NZI 2007, 42 Rn. 14 ff; vgl. auch BGH, Urteil vom 25. April 1962 - VIII ZR
43/61, WM 1962, 603, 604 zu § 37 KO). Sie wird nicht "erklärt",
sondern wie jeder andere schuldrechtliche Anspruch auch außergerichtlich oder
gerichtlich geltend gemacht (vgl. bereits BGH, Urteil vom 20. März 1997 - IX ZR
71/96, BGHZ 135, 140, 149 f zu § 37 KO). Die Rechtsfolgen einer erfolgreichen
Anfechtung ergeben sich aus § 143 InsO. Was durch die anfechtbare Handlung aus
dem Vermögen des Schuldners veräußert, weggegeben oder aufgegeben ist, muss zur
Insolvenzmasse zurückgewährt werden. Die Insolvenzanfechtung hat also nicht die
Unwirksamkeit der angefochtenen Rechtshandlung zur Folge (BGH, Urteil vom 21.
September 2006, aaO Rn. 15; vom 26. April 2012 - IX ZR 146/11, WM 2012, 1131
Rn. 32; Kreft in Festschrift Gero Fischer, 2008, S. 297, 302). Wird etwa die
Abtretung einer Forderung angefochten und liegen die Voraussetzungen eines
Anfechtungstatbestandes vor, hat der Anfechtungsgegner die Forderung
rückabzutreten. Solange dies nicht erfolgt ist, bleibt er Inhaber der Forderung
(BGH, Urteil vom 21. September
2006, aaO Rn. 18).
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bb) Der vorliegende Fall weist
allerdings die Besonderheit auf, dass die Begründung einer Verbindlichkeit,
nämlich der Abschluss des Mietvertrages nebst der ergänzenden Vereinbarung,
angefochten worden ist. Wird eine auf Abschluss eines gegenseitigen Vertrages
gerichtete Willenserklärung insolvenzrechtlich angefochten, hat dies zur Folge,
dass der Anfechtungsgegner sich nicht auf die angefochtene Erklärung berufen
kann (BGH, Urteil vom 26. April 2012, aaO; vom 8. November 2012 - IX ZR 77/11,
WM 2012, 2340 Rn. 24; Jaeger/Henckel, InsO, § 143 Rn. 37; HK-InsO/Kreft,
7. Aufl., § 143 Rn. 4; MünchKomm-InsO/Kirchhof, 3.
Aufl., § 143 Rn. 16a, 54; Jacoby in Kübler/Prütting/Bork,
InsO, 2011, § 143 Rn. 25; Paulus, AcP 155 (1956),
277, 326 f; Gerhardt, Die systematische Einordnung der Gläubigeranfechtung, S.
331; vgl. auch Hahn/Mugdan, Die gesamten Materialien
zu den Reichs-Justizgesetzen, Band 4, Nachdruck 1983, S. 151: "...
bewendet es bei der Wirkungslosigkeit der Handlung"). Einer weitergehenden
Rückgewähr bedarf es nicht. Folge der Anfechtung ist also, dass der Vertrag als
nicht bestehend behandelt wird. Der Insolvenzverwalter kann, wenn er auf
Erfüllung des Vertrages in Anspruch genommen wird, dessen Anfechtbarkeit
einwenden, ohne zuvor auf Rückgewähr der Vertragserklärungen des Schuldners
klagen zu müssen.
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cc) Diese Rechtswirkung tritt jedoch ausschließlich im
Verhältnis zur Insolvenzmasse ein, nicht im Verhältnis zu Dritten.
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(1) Dem Wortlaut des § 143 InsO lässt sich die Beschränkung
der Rechtsfolgen der Anfechtung auf das Verhältnis des Anfechtungsgegners zur
Insolvenzmasse nicht entnehmen. Die Anfechtungsvorschriften der
Insolvenzordnung sind jedoch im Grundsatz denjenigen der Konkursordnung
nachgebildet worden. Nach § 29 KO, der Vorgängervorschrift des § 129 InsO,
konnten Rechtshandlungen "als den Konkursgläubigern gegenüber
unwirksam" angefochten werden. Mit dieser Formulierung sollte zum Ausdruck
gebracht werden, dass das angefochtene Rechtsgeschäft "selbst wenn dessen
Anfechtbarkeit richterlich ausgesprochen wird, als an sich gültig bestehen"
blieb und "seine Wirkung unter den handelnden Theilen
nach dem Inhalt des Geschäfts" behielt; ihm wurden lediglich "die
Wirkungen nach der oben angegebenen Richtung für die Konkursgläubiger
entzogen" (Hahn/Mugdan, Die gesamten Materialien
zu den Reichs-Justizgesetzen, Band 4, Nachdruck 1983, S. 123). Der Gesetzgeber
der Insolvenzordnung hat die Worte "als den Konkursgläubigern gegenüber
unwirksam" bewusst nicht übernommen. Damit sollte jedoch nur zum Ausdruck
gebracht werden, dass die Anfechtbarkeit einer Rechtshandlung nicht als
relative Unwirksamkeit aufzufassen ist, sondern im Regelfall einen
obligatorischen Rückgewähranspruch begründet (BT-Drucks. 12/2443 S. 157 zu §
144 RegE). Die Bestimmungen über die
Insolvenzanfechtung sollten also nicht dahingehend verallgemeinert werden, dass
sich neben dem Insolvenzverwalter auch Dritte auf die Anfechtbarkeit eines
Rechtsgeschäfts berufen können. Wirkung gegenüber jedermann erlangt eine
Anfechtung vielmehr erst mit der Erfüllung des Anfechtungsanspruchs durch den
Anfechtungsgegner.
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(2) Nichts anderes gilt, wenn die anfechtbare Rechtshandlung
in der Begründung einer Verbindlichkeit besteht. Im Verhältnis zur
Insolvenzmasse bedarf es zwar keines Vollzugs der Rückgewähr. Der
Insolvenzverwalter kann eine Inanspruchnahme bereits mit dem Einwand der
Anfechtbarkeit abwehren. Damit bleibt der Vertrag jedoch bestehen; der
Schuldner, der den Vertrag vor der Eröffnung geschlossen hat, bleibt aus ihm
verpflichtet (MünchKomm-InsO/ Kirchhof, aaO § 143 Rn.
16a; Jaeger/Henckel, aaO § 143 Rn. 95). Der
Verwalter, der zunächst die Anfechtung des Vertrages erklärt und vom
Anfechtungsgegner einen ausdrücklichen Verzicht auf die Rechte aus diesem
Vertrag verlangt hat, kann in den von § 242 BGB gezogenen Grenzen von der
Verfolgung des Rückgewähranspruchs Abstand nehmen und gemäß § 103 InsO die
Erfüllung des Vertrages verlangen (BGH, Urteil vom 25. April 1962 - VIII ZR
43/61, WM 1962, 603 zu § 37 KO; Jaeger/Henckel, aaO Rn. 40; MünchKomm-InsO/
Kirchhof, aaO Rn. 16a). Aufgehoben wird der Vertrag nicht
bereits durch die vom Insolvenzverwalter erklärte oder gerichtlich geltend
gemachte Anfechtung, sondern erst mit der Zustimmung oder einer entsprechenden
Verurteilung des Anfechtungsgegners. Allenfalls dann kommt eine Wirkung der
Anfechtung auch gegenüber Dritten in Betracht. Die Beklagte hat der vom
Insolvenzverwalter erklärten Anfechtung des Mietvertrages und der ergänzenden
Vereinbarung nicht zugestimmt. Dem eigenen Vortrag der Klägerin nach hat sie
der Aufforderung des Verwalters, die Mietsache zu räumen, nicht Folge
geleistet.
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dd) Dieses Ergebnis ändert sich nicht deshalb, weil die Klägerin als Zwangsverwalterin in dem durch § 152 ZVG beschriebenen Umfang auch Eigentümerrechte geltend machen, etwa einen Herausgabeanspruch aus § 985 BGB durchsetzen kann. Der auf das Insolvenzverfahren bezogene Anfechtungsanspruch nach §§ 129 ff InsO ist von dieser Befugnis nicht umfasst.
III.
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Das angefochtene Urteil kann folglich keinen Bestand haben. Es ist aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da die Sache nicht zur Endentscheidung reif ist, ist sie zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 ZPO). Dieses wird nunmehr zu prüfen haben, ob die fristlose, hilfsweise die ordentliche Kündigung, auf welche die Klägerin die Räumungsklage ursprünglich auch gestützt hatte, zu einer Beendigung des Mietverhältnisses geführt hat.