BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
1. Der Beschluss der Deutschen Bischofskonferenz vom
2.3.2011 über "Leistungen in Anerkennung des Leids, das Opfern sexuellen
Missbrauchs zugefügt wurde", bildet eine vom materiellen staatlichen Recht
gelöste eigenständige neue Grundlage für hiernach erbrachte Leistungen.
2. Zahlungen kirchlicher Körperschaften auf der Grundlage
des Beschlusses der Deutschen Bischofskonferenz vom 2.3.2011 über
"Leistungen in Anerkennung des Leids, das Opfern sexuellen Missbrauchs
zugefügt wurde", sind nicht pfändbar und fallen im Falle des
Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Leistungsempfängers nicht in die
Masse.
BGH, Beschluss vom 22. Mai 2014 - IX ZB 72/12 - LG
Frankenthal (Pfalz) AG Neustadt a.d. Weinstraße
Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den
Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Kayser und die Richter Prof. Dr. Gehrlein, Vill, Dr. Fischer und Grupp am 22. Mai 2014 beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 1. Zivilkammer
des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) vom 19. Juni 2012 wird auf Kosten des
weiteren Beteiligten zurückgewiesen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf
8.000 € festgesetzt.
Gründe:
I.
1
Über das Vermögen des im Jahre 1955 geborenen F.
(nachfolgend: Schuldner) wurde auf dessen Antrag vom 7./11. August 2009 mit Be-schluss vom 24. August 2009 das
Verbraucherinsolvenzverfahren eröffnet und der weitere Beteiligte zum
Treuhänder bestellt. Mit Beschluss vom 23. Juni 2010 wurde dem Schuldner die
Restschuldbefreiung angekündigt und mit Beschluss vom 6. Oktober 2010 das
Insolvenzverfahren aufgehoben.
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Auf Antrag des Treuhänders vom 21. Juli 2011 hat das
Insolvenzgericht mit Beschluss vom 22. Dezember 2011 die Nachtragsverteilung
unter anderem hinsichtlich eines Betrages von 8.000 € angeordnet, den der
Schuldner am 16. Juli 2011 vom Bischöflichen Ordinariat erhalten hatte als
freiwillige Entschädigungsleistung für sexuellen Missbrauch, den der Schuldner
als Kind durch einen Angehörigen der katholischen Kirche erlitten hatte. Die
Leistung beruhte auf einem Beschluss der Deutschen Bischofskonferenz vom 2.
März 2011, auf dessen Grundlage der Schuldner die Entschädigung im Mai 2011
nach Gesprächen mit dem Missbrauchsbeauftragten des Bistums beantragt hatte.
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Auf die sofortige Beschwerde des Schuldners hat das
Landgericht die Anordnung der Nachtragsverteilung insoweit aufgehoben und den
Antrag des Treuhänders abgelehnt. Mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen
Rechtsbeschwerde will der Treuhänder die Zurückweisung der sofortigen
Beschwerde und damit die Nachtragsverteilung hinsichtlich dieses Betrages
erreichen.
II.
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Die statthafte (§§ 4, 204 Abs. 1 Satz 2 InsO, § 574 Abs. 1
Satz 1 Nr. 2 ZPO) und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde (§ 575 ZPO)
ist unbegründet.
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1. Das Beschwerdegericht hat gemeint, eine
Nachtragsverteilung komme schon deshalb nicht in Betracht, weil die
Entschädigung kein Gegenstand der Insolvenzmasse sei. Die Rechtsgrundlage,
aufgrund derer die Auszahlung erfolgt sei, sei erst nach Aufhebung des
Insolvenzverfahrens im März 2011 geschaffen worden. Anträge hätten erst ab 10.
März 2011 gestellt werden können. Es handele sich um eine freiwillige, nicht
zwingend von der Nachweisbarkeit des Fehlverhaltens von Kirchenbediensteten
abhängige Leistung der katholischen Kirche. Die einer solchen Entschädigung im
Regelfall zugrunde liegende Rechtsgutverletzung könne zwar mit einem
zivilrechtlichen Schmerzensgeldanspruch inhaltlich identisch sein. Derartige
Schmerzensgeldansprüche seien aber meist nicht nachweisbar und längst verjährt.
Die von der katholischen Kirche zur Hilfestellung durch finanzielle
Entschädigung der Opfer sexuellen Missbrauchs geschaffene Selbstverpflichtung
stelle eine eigene und selbständige Rechtsgrundlage dar. Das habe zur Folge,
dass die Entschädigungsleistung Neuerwerb in der Wohlverhaltensperiode
darstelle.
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Selbst wenn es sich aber um einen mit einem
Schmerzensgeldanspruch identischen Anspruch handele, sei eine
Nachtragsverteilung nicht gerechtfertigt. Durch Angehörige der Katholischen
Kirche sei der Schuldner in seinem aus Art. GG Artikel 1, GG Artikel 2 GG
geschützten Persönlichkeitsrecht massiv verletzt worden. Der wegen Verletzung
dieses Rechts zu gewährende Ausgleichsanspruch sei kein Schmerzensgeld, sondern
eine aus Art. 1, 2 GG abgeleitete Rechtsposition. Der Anspruch sei gemäß § 851
Abs. 1 ZPO, § 399 BGB nicht pfändbar, weil die Leistung an einen Dritten - hier
den Treuhänder zur Masse - nicht ohne Veränderung ihres Inhalts erfolgen könne.
Wenn die Entscheidungsträger des Bistums erfahren hätten, dass ein Treuhänder
die Leistung zugunsten der Insolvenzgläubiger einziehe, hätten sie eine
derartige Entschädigung nicht zugesprochen, weil so die mit ihr bezweckte
Kompensation des Leides nicht erreicht werden könne.
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2. Diese Ausführungen halten rechtlicher Prüfung stand.
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a) Die Anordnung der Nachtragsverteilung kommt schon deshalb
nicht in Betracht, weil es sich bei der freiwilligen Zahlung des Bischöflichen
Ordinariats vom 16. Juli 2011 um einen Neuerwerb des Schuldners nach Aufhebung
des Insolvenzverfahrens am 6. Oktober 2010 handelt, der nicht mehr gemäß § 35
Abs. 1 InsO in die Masse fällt (vgl. BGH, Beschluss vom 3. April 2014 - IX ZA 5/14, WM 2014, 956 Rn. 6).
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aa) Gemäß § 203 Abs. 1 Nr. 3 InsO
wird die Nachtragsverteilung angeordnet, wenn nachträglich Gegenstände der
Masse ermittelt werden (vgl. BGH, Beschluss vom 3. April 2014, aaO). Sie ist
auch im Verbraucherinsolvenzverfahren zulässig (BGH, Beschluss vom 1. Dezember
2005 - IX ZB 17/04, NZI 2006, 180 Rn. 4; vom 2. Dezember 2010 - IX ZB 184/09,
NJW 2011, 1448 Rn. 5). Die Aufhebung des Insolvenzverfahrens steht gemäß § 203
Abs. 2 InsO der Anordnung nicht entgegen.
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bb) Die Gewährung der Zahlung
durch das Bischöfliche Ordinariat stellt jedoch Neuerwerb des Schuldners nach
Aufhebung des Insolvenzverfahrens dar. Sie ist kein Gegenstand der Masse (vgl.
BGH, Beschluss vom 3. April 2014, aaO).
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(1) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist
allerdings von der Begründung einer Insolvenzforderung im Sinne des
Insolvenzrechts schon dann auszugehen, wenn der anspruchsbegründende Tatbestand
schon vor Verfahrenseröffnung abgeschlossen ist, mag sich eine Forderung daraus
auch erst nach Beginn des Insolvenzverfahrens ergeben (vgl. BGH, Beschluss vom
22. September 2011 - IX ZB 121/11, NZI 2011, 953 Rn. 3; vom 18. Oktober 2012 - IX
ZB 263/10, ZOV 2012, 336 Rn. 5, je mwN). Entsprechend
kommt es im Rahmen der Beurteilung, ob hinsichtlich einer realisierten
Forderung des Schuldners eine Nachtragsverteilung anzuordnen ist, nicht darauf
an, ob der (Entschädigungs-) Anspruch schon vor oder während des
Insolvenzverfahrens festgesetzt oder anerkannt worden ist. Vielmehr ist
entscheidend, ob der Schuldner diesen Anspruch bereits vor Aufhebung des
Insolvenzverfahrens hätte geltend machen können (BGH, Beschluss vom 18. Oktober
2012, aaO Rn. 5). Die schuldrechtliche Grundlage des Anspruchs muss schon vor
Aufhebung des Insolvenzverfahrens entstanden sein. Ob die Forderung selbst
schon entstanden oder fällig ist, ist dagegen unerheblich (BGH, Beschluss vom
22. September 2011, aaO Rn. 3).
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(2) Grundlage der Leistungsbewilligung und Zahlung an den
Schuldner waren die von der Deutschen Bischofskonferenz am 2. März 2011
beschlossenen Grundsätze über "Leistungen in Anerkennung des Leids, das
Opfern sexuellen Missbrauchs zugefügt wurde". Nach Buchstabe B Ziffer III
dieser Selbstverpflichtung soll in den Fällen, in denen Opfer sexuellen
Missbrauchs eine materielle Leistung in Anerkennung des Leids wünschen und
wegen der eingetretenen Verjährung kein durchsetzbarer Anspruch auf
Schadensersatz und Schmerzensgeld besteht, eine materielle Leistung bis zu
einem Betrag von 5.000 € gewährt werden. Nach Ziffer VI sind in besonders
schweren Fällen zusätzliche Leistungen möglich. Für das Antragsverfahren ist in
Buchstabe C Ziffer IV des Beschlusses bestimmt, dass alle Leistungen
freiwillige Leistungen ohne Anerkenntnis einer Rechtspflicht sind, für die der
Rechtsweg ausgeschlossen ist. Die Grundlage der dem Schuldner gewährten
Leistung ist damit erst nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens geschaffen
worden.
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(3) Allerdings mag der Schuldner gegen die handelnde Person
und die sie beschäftigende kirchliche Körperschaft wegen des sexuellen
Missbrauchs zivilrechtliche Schadensersatzansprüche einschließlich solcher auf
Schmerzensgeld gemäß §§ 823, 831, 847 Abs. 1 BGB aF gehabt haben. Ob dem
Schuldner ein entsprechender Tatnachweis möglich gewesen wäre, insbesondere
nachdem der handelnde Täter längst verstorben ist, kann dahinstehen. Jedenfalls
wären entsprechende Ansprüche, die Handlungen in den Jahren 1965 bis 1969
betrafen, bei Aufhebung des Insolvenzverfahrens am 6. Oktober 2010 auch bei
Zugrundelegung der längsten Verjährungsfrist von 30 Jahren des § 195 BGB aF
längst verjährt und nicht mehr durchsetzbar. Wie der Fall zu beurteilen wäre,
wenn das Bischöfliche Ordinariat gleichwohl auf derart längst verjährte
Ansprüche gezahlt hätte, kann dahinstehen. Dies ist gerade nicht erfolgt. Die
Zahlung hatte vielmehr zur Voraussetzung, dass zivilrechtliche Ansprüche nicht
mehr durchsetzbar waren. Auf derartige Ansprüche sollte auch nicht bezahlt
werden (vgl. Abschnitt A Abs. 3 der Grundsätze). Grundlage der Zahlung war
ausschließlich der genannte Beschluss der Bischofskonferenz. Die Annahme der
Rechtsbeschwerde, es handele sich um eine (Teil-)Leistung auf den
zivilrechtlichen Schmerzensgeldanspruch, ist unzutreffend.
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b) Im Übrigen ist die Zahlung des Bischöflichen Ordinariats
auch deshalb nicht Gegenstand der Masse geworden, weil ein entsprechender
Anspruch des Schuldners gemäß § 851 Abs. 1 ZPO, § 399 BGB nicht pfändbar war.
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aa) Ansprüche wegen immaterieller
Schäden sind allerdings seit 1. Juli 1990 uneingeschränkt übertragbar und
pfändbar, nachdem durch das Gesetz zur Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuchs
und anderer Gesetze vom 14. März 1990 (BGBl. I S. 478) § 847 Abs. 1 Satz 2 BGB
aF mit Wirkung ab 1. Juli 1990 gestrichen worden war. Es ist deshalb allgemein
anerkannt, dass Schmerzensgeldansprüche pfändbar sind und gegebenenfalls in die
Insolvenzmasse fallen (BGH, Urteil vom 24. März 2011 - IX ZR 180/10, BGHZ 189, 65
Rn. 33 ff mit Begründung zur Entstehungsgeschichte). Dies gilt auch für
Ansprüche gegen die Katholische Kirche, soweit sie auf den Ersatz immaterieller
Schäden gerichtet sind.
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bb) Ob für Ansprüche wegen
Verletzung des Persönlichkeitsrechts etwas anderes gilt, wie das
Beschwerdegericht annimmt, erscheint zweifelhaft. Der Senat hat dies bislang
dahingestellt sein lassen (BGH, Urteil vom 24. März 2011, aaO Rn. 36). Dies
bedarf auch hier keiner Entscheidung.
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cc) Der Pfändbarkeit steht jedenfalls, wie das
Beschwerdegericht zutreffend gesehen hat, § 851 Abs. 1 ZPO, § 399 BGB entgegen,
weil die Leistung des Bischöflichen Ordinariats an einen Dritten, hier den
Insolvenzverwalter zur Masse, nicht ohne Veränderung ihres Inhalts hätte
erfolgen können.
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(1) Eine Forderung ist dann nicht übertragbar, wenn die
Leistung an einen anderen als den ursprünglichen Gläubiger nicht ohne
Veränderung ihres Inhalts erfolgen kann. Dies ist dann anzunehmen, wenn die
Leistung auf höchstpersönlichen Ansprüchen des Berechtigten beruht, die er nur
selbst erheben kann, wenn - anders als bei höchstpersönlichen Ansprüchen - ein
Gläubigerwechsel zwar rechtlich vorstellbar, das Interesse des Schuldners an
der Beibehaltung einer bestimmten Gläubigerperson aber besonders schutzwürdig
ist, oder wenn ohne Veränderung des Leistungsinhalts die dem Gläubiger
gebührende Leistung mit seiner Person derart verknüpft ist, dass die Leistung
an einen anderen Gläubiger als eine andere Leistung erschiene (BGH, Urteil vom
24. Oktober 1985 - VII ZR 31/85, NJW 1986, 713, 714; vom 4. Dezember 2009 - V
ZR 9/09, NJW-RR 2010, 1235 Rn. 12; vom 24. März 2011, aaO Rn. 42). In allen
diesen drei Fallgruppen ist die Abtretbarkeit ausgeschlossen, weil andernfalls
die Identität der abgetretenen Forderung nicht gewahrt bliebe.
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(2) Hier liegt ein Fall der zweiten und der dritten
Fallgruppe vor. Die geschuldete Leistung ist mit der Person des Gläubigers
derart verknüpft, dass die Leistung an einen anderen Gläubiger, hier den Kläger
als Insolvenzverwalter, sie als eine andere Leistung erscheinen lassen würde.
Das Interesse des Schuldners, hier der Katholischen Kirche, an der Beibehaltung
der Gläubigerperson für die freiwillige Leistung ist besonders schutzwürdig.
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Ein Anspruch auf Erbringung einer materiellen Leistung gegen
das Bistum entstand nicht von Gesetzes wegen, sondern durch eine
Ermessensentscheidung, welche die betroffene kirchliche Körperschaft nach dem
genannten Beschluss der Deutschen Bischofskonferenz auf der Grundlage einer
Empfehlung der zentralen Koordinierungsstelle beim "Büro für Fragen
sexuellen Missbrauchs Minderjähriger im kirchlichen Bereich" der Deutschen
Bischofskonferenz zu treffen hatte (vgl. Abschnitt C Ziffer III 3 des genannten
Beschlusses der Deutschen Bischofskonferenz). Diese knüpft an den
festgestellten sexuellen Missbrauch des Antragstellers an, für die nach
staatlichem Recht Ansprüche infolge Verjährung nicht mehr durchgesetzt werden
konnten. Die Zuerkennung lag im Ermessen der kirchlichen Institutionen.
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Die Entschädigung sollte unter dem Gesichtspunkt der
Billigkeit - trotz eingetretener und in Anspruch genommener Verjährung
zivilrechtlicher Ansprüche - dem Opfer persönlich zugute
kommen. Die zuerkannte materielle Leistung dient allein dem Zweck, in
Anerkennung des Leids des Opfers die Folgen seiner Traumatisierung zu mildern
und dem Opfer bei der Bewältigung belastender Lebensumstände zu helfen. Die mit
der Zahlung beabsichtigte Entlastung kann nur eintreten, wenn die Leistung aus
der Sphäre des Schädigers herrührt, es also bei dem ursprünglichen Schuldner
und dem ursprünglichen Gläubiger der materiellen Leistung verbleibt. Dies
stellt ein besonderes schutzwürdiges Motiv des Leistungsschuldners dar. Wie das
Beschwerdegericht hierzu zutreffend festgestellt hat, erscheint es
ausgeschlossen, dass die Katholische Kirche die Leistung zugebilligt hätte,
wenn anstelle des Insolvenzschuldners der Treuhänder den Betrag für die Masse
vereinnahmen könnte.
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Die Insolvenz- und Massegläubiger haben durch den sexuellen Missbrauch des Schuldners weder materielle noch immaterielle Einbußen erlitten. Die Auszahlung des freiwillig erbrachten Betrages an die Masse würde deshalb den Zweck und Leistungsinhalt grundlegend verändern (vgl. BGH, Urteil vom 24. März 2011, aaO Rn. 44).