BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1. Der Gläubiger verwirkt einen rechtskräftig ausgeurteilten
Zahlungsanspruch nicht allein dadurch, dass er über einen Zeitraum von 13
Jahren keinen Vollstreckungsversuch unternimmt.
2. Zur Herausgabe eines Vollstreckungstitels bei mehreren
Titelschuldnern.
BGH, Urteil vom 9. Oktober 2013 - XII ZR 59/12 - OLG Hamburg LG Hamburg
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 9. Oktober 2013 durch die Richter Dr. Klinkhammer, Weber-Monecke, Schilling, Dr. Nedden-Boeger und Guhling für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 4.
Zivilsenats des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Hamburg vom 20. April 2012
aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung,
auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Oberlandesgericht
zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
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Die Beklagte (im Folgenden: Gläubigerin) erwirkte als
gewerbliche Vermieterin in den Jahren 1993 und 1994 insgesamt fünf
Vollstreckungstitel (Urteile und Kostenfestsetzungsbeschlüsse) gegen den Kläger
(im Folgenden: Schuldner) und seinen Mitmieter. Die Forderungen sind teilweise
befriedigt; weitere Zahlungen sind streitig. Der Schuldner hat die vollständige
Tilgung aller Schuldtitel behauptet, er verfüge jedoch über keine Unterlagen
und Belege aus dem fraglichen Zeitraum mehr, da diese bereits vernichtet seien
und auch von der Bank nicht mehr reproduziert werden könnten.
2
Der letzte Vollstreckungsversuch hatte in Form einer
Wohnungsdurchsuchung im April 1995 stattgefunden. Danach ruhte die
Angelegenheit, bis die Gläubigerin im Jahr 2008 ein Inkassounternehmen mit der
Einziehung der Forderung beauftragte.
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Mit seiner Klage hat der Schuldner die Unzulässigerklärung
der Zwangsvollstreckung und die Herausgabe der Titel verlangt. Das Landgericht
hat der Klage stattgegeben, weil die titulierten Ansprüche verwirkt seien. Das
Oberlandesgericht hat die Berufung der Gläubigerin zurückgewiesen. Hiergegen
richtet sich deren vom Senat zugelassene Revision.
Entscheidungsgründe:
4
Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils
und zur Zurückverweisung der Sache an das Oberlandesgericht.
I.
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Das Oberlandesgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung
im Wesentlichen ausgeführt: Die titulierten Ansprüche seien verwirkt. Die
Gläubigerin habe die Forderung über einen langen Zeitraum von 13 Jahren nicht
geltend gemacht. Das außerdem erforderliche Umstandsmoment sei darin
verwirklicht, dass der Schuldner sich darauf eingerichtet habe und nach den
gesamten Umständen auch darauf habe einrichten dürfen, dass die Gläubigerin
ihre Rechte aus den Titeln nicht mehr geltend machen werde. Der Schuldner sei
nach dem Ablauf von etwa 13 Jahren von 1995 bis zu dem Zeitpunkt, als sich das
Inkassobüro im Jahr 2008 bei ihm gemeldet habe, nicht mehr in der Lage, die von
ihm behauptete Erfüllung der streitgegenständlichen Forderung zu beweisen.
Sämtliche schriftlichen Beweismittel stünden nicht mehr zur Verfügung, nachdem
die zehnjährigen Aufbewahrungsfristen abgelaufen seien. Die fehlende Sicherung
von Belegen zum Nachweis der Erfüllung stelle eine berechtigte
Vertrauensdisposition des Schuldners dar, wenn der letzte Vollstreckungsversuch
mehr als zehn Jahre zurückliege. Jedenfalls habe die Gläubigerin den Schuldner
innerhalb der zehn Jahre darauf hinweisen müssen, dass ihrer Auffassung nach
die titulierten Ansprüche noch nicht vollständig erfüllt seien und er daher
weiter mit Vollstreckungsmaßnahmen rechnen müsse.
II.
6
Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung nicht
stand.
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1. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist der
Rechtsgedanke der Verwirkung, der auch im Miet- und Pachtrecht gilt, ein
Unterfall der unzulässigen Rechtsausübung aufgrund widersprüchlichen
Verhaltens. Danach ist ein Recht verwirkt, wenn der Berechtigte es längere Zeit
hindurch nicht geltend gemacht und der Verpflichtete sich darauf eingerichtet
hat und nach dem gesamten Verhalten des Berechtigten darauf einrichten durfte,
dass dieser das Recht auch in Zukunft nicht geltend machen werde. Die Annahme einer
Verwirkung setzt somit neben dem Zeitablauf das Vorliegen besonderer, ein
solches Vertrauen des Verpflichteten begründender Umstände voraus. Ob eine
Verwirkung vorliegt, richtet sich letztlich nach den vom Tatrichter
festzustellenden und zu würdigenden Umständen des Einzelfalles (Senatsurteile
vom 17. November 2010 - XII ZR 124/09 - NJW 2011, 445 und vom 27. Januar 2010 XII
ZR 22/07 - NZM 2010, 240 Rn. 32 mwN).
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2. Ob der Ablauf von 13 Jahren, während derer die Titel
nicht vollstreckt wurden, eine ausreichend lange Zeitspanne darstellt, bei der
eine Anspruchsverwirkung grundsätzlich in Betracht kommt, kann im Ergebnis ebenso
dahinstehen wie die Frage, ob der Schuldner eine Vertrauensdisposition
getroffen hat, indem er die Belege, die nach seinem Vorbringen bereits im Jahr
1997 durch seinen Steuerberater vernichtet worden waren, nicht von der Bank
reproduzieren ließ, bevor sie dort gelöscht wurden.
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Denn jedenfalls kann dem Oberlandesgericht nicht in der
Annahme gefolgt werden, der Schuldner habe sich nach den gesamten Umständen
darauf einrichten dürfen, dass die Gläubigerin ihre Rechte aus den Titeln nicht
mehr geltend machen werde.
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a) Bei dem Rechtsgedanken der Verwirkung kommt es in erster
Linie auf das Verhalten des Berechtigten an. Mit der Verwirkung soll die
illoyal verspätete Geltendmachung von Rechten gegenüber dem Verpflichteten
ausgeschlossen werden. Dabei ist das Verhalten des Berechtigten nach objektiven
Gesichtspunkten zu beurteilen. Maßgebend ist insoweit, ob bei objektiver
Beurteilung der Verpflichtete dem Verhalten des Berechtigten entnehmen durfte,
dass dieser sein Recht nicht mehr geltend machen wolle, ob er sich also darauf
einrichten durfte, dass er mit einer Rechtsausübung durch den Berechtigten
nicht mehr zu rechnen brauche (BGHZ 25, 47, 52 = NJW 1957, 1358; RGZ 155, RGZ 155,
152).
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Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs
müssen daher zu dem reinen Zeitablauf besondere, auf dem Verhalten des
Berechtigten beruhende Umstände hinzutreten, die das Vertrauen des
Verpflichteten rechtfertigen, der Berechtigte werde seinen Anspruch nicht mehr
geltend machen (BGHZ 105, 290, 298 = NJW 1989, 836; BGH Urteile vom 18. Januar
2001 - VII ZR 416/99 - NJW 2001, 1649; vom 14. November 2002 - VII ZR 23/02 -
NJW 2003, 824 und vom 30. Oktober 2009 - V ZR 42/09 - NJW 2010, 1074). Der
Vertrauenstatbestand kann nicht durch bloßen Zeitablauf geschaffen werden (BGH
Urteile BGHZ 43, 289, 292 = NJW 1965, 1532; vom 20. Dezember 1968 - V ZR 97/65
- WM 1969, 182; vom 29. Februar 1984 - VIII ZR 310/82 - NJW 1984, 1684; vom 27.
März 2001 - VI ZR 12/00 - NZV 2001, 464, 466 und vom
14. November 2002 - VII ZR 23/02 - NJW 2003 824 juris
Rn. 9).
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Hinzu kommt, dass es sich hier um titulierte Ansprüche
handelt. Lässt ein Gläubiger seinen Anspruch durch Gerichtsurteil titulieren,
gibt er bereits dadurch zu erkennen, dass er die Forderung durchsetzen will und
sich dazu eines Weges bedient, der ihm dies grundsätzlich für die Dauer von 30
Jahren ermöglicht. Bei dieser Ausgangslage liegt die Annahme, ein
anschließendes Ruhen der Angelegenheit könne bedeuten, der Gläubiger wolle den
Anspruch endgültig nicht mehr durchsetzen, umso ferner.
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Abgesehen davon ist der Schuldner nach etwaiger Erfüllung
der Schuld keineswegs schutzlos. Er kann nicht nur eine Quittung beanspruchen
(§ 368 BGB), sondern auch den Titel selbst vom Gläubiger heraus verlangen (§ 371
BGB analog).
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b) Nach den von den Vorinstanzen getroffenen Feststellungen
liegt ein vertrauensbegründendes Verhalten der Gläubigerin nicht vor. Nach den
Annahmen des Oberlandesgerichts war die Angelegenheit bei der Gläubigerin außer
Kontrolle geraten und deshalb 13 Jahre lang unbeachtet geblieben. Das ist kein
Umstand, aus dem ein Schuldner das Vertrauen gründen darf, ein titulierter
Rechtsanspruch solle nicht mehr durchgesetzt werden.
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Im Übrigen ist das Oberlandesgericht davon ausgegangen, dass
der Schuldner seine Belege mit der Erwägung vernichtete bzw. die vom
Steuerberater vorzeitig vernichteten Belege nicht reproduzieren ließ, dass
diese wegen Ablauf der steuerlichen Aufbewahrungsfristen nicht mehr benötigt
würden. Mithin beruht seine Vertrauensdisposition nicht auf Umständen aus der
Sphäre der Gläubigerin.
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Damit fehlt es insgesamt an einem für die Verwirkung
erforderlichen Umstandsmoment.
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3. a) Wegen des aufgezeigten Rechtsfehlers kann die
angefochtene Entscheidung keinen Bestand haben. Der Senat kann nicht
abschließend in der Sache entscheiden, weil das Oberlandesgericht - von seinem
Standpunkt aus folgerichtig - keine Feststellungen zu der behaupteten Erfüllung
der Schuld getroffen hat.
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b) Die Sache ist auch nicht teilweise insoweit
entscheidungsreif, als die Herausgabe der Titel verlangt wird. Entgegen der
Revision wird diese nicht bereits deshalb zu Unrecht verlangt, weil die Titel
beim Gläubiger noch zur Vollstreckung gegen einen zweiten Schuldner - den
Mitmieter - benötigt würden.
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Eine auf § 371 BGB analog gestützte Klage auf Herausgabe der
vollstreckbaren Ausfertigung eines unter § 794 ZPO fallenden Titels ist nach
gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zulässig, wenn über eine
Vollstreckungsabwehrklage rechtskräftig zu Gunsten des Herausgabeklägers
entschieden worden ist und die Erfüllung der dem Titel zu Grunde liegenden
Forderung zwischen den Parteien unstreitig ist oder vom Titelschuldner zur
Überzeugung des Gerichts bewiesen wird (BGH Urteil vom 5. März 2009 - IX ZR
141/07 - NJW 2009, 1671 Rn. 16 mwN). Das gilt entgegen der Revision auch dann,
wenn der Titel noch zur Vollstreckung gegen einen weiteren Schuldner
berechtigen könnte. Denn soweit mehrere Schuldner als Gesamtschuldner
verurteilt sind und einer der Gesamtschuldner die Schuld beglichen hat, bleibt
für den Gläubiger nichts mehr zu vollstrecken. Soweit sie hingegen nach
Kopfteilen verurteilt sind, sind so viele Ausfertigungen zu erteilen, wie
Schuldner vorhanden sind; jede Ausfertigung ist insoweit nur mit der Klausel
gegen je einen der Schuldner zu versehen (Zöller/Stöber ZPO 29. Aufl. § 724 Rn.
12; Seiler in Thomas/Putzo ZPO 33. Aufl. § 724 Rn. 11; Saenger
ZPO 4. Aufl. § 724 Rn. 10; Prütting/Gehrlein/Kroppenberg ZPO 4. Aufl. § 724 Rn.
8). Der Schuldner könnte daher diejenige Ausfertigung heraus verlangen, die mit
der gegen ihn gerichteten Vollstreckungsklausel versehen ist. Zur Vollstreckung
gegen den anderen Schuldner müsste sich der Gläubiger eine andere Ausfertigung
mit Vollstreckungsklausel nur gegen diesen erteilen lassen.
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c) Schließlich erweist sich die Entscheidung auch nicht bereits insoweit als richtig, wie die Beklagte zur Herausgabe der vollstreckbaren Ausfertigung des Urteils des Landgerichts Hamburg vom 23. Juni 1994 - 326 O 391/93 - verurteilt worden ist. Zwar ist die diesem Titel zugrunde liegende Schuld unstreitig erfüllt. Es bedarf jedoch noch weiterer Aufklärung, ob sich die in den Händen der Gläubigerin befindliche vollstreckbare Ausfertigung des Titels gegen den Kläger richtet und er deshalb zur Geltendmachung des Titelherausgabeanspruchs aktivlegitimiert ist.