BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
Begleicht der Schuldner die gegen einen Dritten gerichtete
Forderung des Anfechtungsgegners, kann seine Leistung entgeltlich sein, wenn
sich der Zahlungsempfänger gegenüber seinem Schuldner durch Aufrechnung hätte
Befriedigung verschaffen können.
BGH, Urteil vom 18. April 2013 - IX ZR 90/10 - OLG
Celle LG Hannover
Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die
mündliche Verhandlung vom 18. April 2013 durch den Vorsitzenden Richter Prof.
Dr. Kayser, die Richter Prof. Dr. Gehrlein, Dr. Fischer, Grupp und die
Richterin Möhring
für Recht erkannt:
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 13.
Zivilsenats des Oberlandesgerichts Celle vom 22. April 2010 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht
zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
1
Der Kläger ist Verwalter in dem auf eigenen Antrag vom 29.
September 2005 am 1. Dezember 2005 eröffneten Insolvenzverfahren über das
Vermögen der Kaufhaus F.R.GmbH & Co. KG (im
Folgenden: Schuldnerin). Die Schuldnerin überwies am 29. September 2005 aus
einem Kontogut- haben 45.000 € an das Finanzamt O .zur Tilgung von Steuerschulden
der M. R. GmbH (fortan auch: GmbH), mit der sie gesellschaftsrechtlich
verflochten war. Am selben Tag stellte die GmbH ihren Geschäftsbetrieb ein.
Zwischen den Parteien ist streitig, ob die GmbH zahlungsunfähig war. Das
Finanzamt erstattete ihr am 20. Oktober 2005 aus korrigierten
Umsatzsteuervoranmeldungen 1.545,56 €, am 27. Februar 2006 aus Körperschaft-
und Umsatzsteuererklärungen für das Jahr 2004 42.871,82 € und am 15. August
2006 aus Körperschaft- und Umsatzsteuererklärungen für das Jahr 2005 20.655,59
€.
2
Der Kläger nimmt das beklagte Land unter dem rechtlichen
Gesichtspunkt der Schenkungsanfechtung auf Rückgewähr der Zahlung von 45.000 €
nebst Zinsen in Anspruch. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die
Berufung des Klägers hat das Oberlandesgericht den Beklagten antragsgemäß
verurteilt. Dagegen wendet sich der Beklagte mit der vom Senat zugelassenen
Revision.
Entscheidungsgründe:
3
Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des
angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das
Berufungsgericht.
I.
4
Das Berufungsgericht hat die Voraussetzungen eines
Rückgewähranspruchs nach §§ 143 Abs. 1, 134 Abs. 1 InsO bejaht. Es hat
angenommen, bei der Zahlung der Insolvenzschuldnerin habe es sich um eine
unentgeltliche Leistung gehandelt, weil die getilgte Steuerforderung des
Beklagten gegen die GmbH wertlos gewesen sei. Die GmbH sei am 29. September
2005 und auch danach nicht mehr in der Lage gewesen, die Steuerforderung zu
erfüllen. Ihre einzigen Vermögenswerte seien der Wert der bei der Schuldnerin
befindlichen Kommissionsware in Höhe von 31.283,84 € und eine Forderung gegen
die Schuldnerin in Höhe von 16.770,88 € gewesen, die aber wegen der
Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin nicht mehr realisierbar gewesen sei. Die
Steuererstattungen an die GmbH im Jahr 2006 seien bei der Beurteilung der
Zahlungsfähigkeit dieser Gesellschaft am 29. September 2005 nicht zu
berücksichtigen, weil es sich nicht um kurzfristig liquidierbare Forderungen
gehandelt habe. Ansprüche auf Erstattung von Steuervorauszahlungen entstünden
zwar bereits mit Ablauf des Voranmeldungs- beziehungsweise
Veranlagungszeitraums. Vor ihrer Festsetzung durch einen Steuerbescheid seien
sie aber nicht durchsetzbar.
II.
5
Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung in
einem entscheidenden Punkt nicht stand.
6
1. Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs
ist die Tilgung einer fremden Schuld als unentgeltliche Leistung nach § 134
Abs. 1 InsO anfechtbar, wenn die gegen den Dritten gerichtete Forderung des
Zuwendungsempfängers wertlos war; dann hat der Zuwendungsempfänger
wirtschaftlich nichts verloren, was als Gegenleistung für die Zuwendung
angesehen werden kann (BGH, Urteil vom 16. November 2007 - IX ZR 194/04, BGHZ
174, 228 Rn. 8; vom 6. Dezember 2007 - IX ZR 113/06, WM 2008, 229 Rn. 14; vom
22. Oktober 2009 - IX ZR 182/08, WM 2009, 2283 Rn. 8; vom 19. November 2009 - IX
ZR 9/08, WM 2010, 129 Rn. 8; vom 17. Juni 2010 - IX ZR 186/08, WM 2010, 1421
Rn. 7). Hiervon ist, wie das Berufungsgericht richtig gesehen hat, regelmäßig
auszugehen, falls über das Vermögen des Forderungsschuldners wegen
Zahlungsunfähigkeit das Insolvenzverfahren eröffnet oder er zumindest
insolvenzreif war (BGH, Urteil vom 22. Oktober 2009, aaO Rn. 8 f; vom 17. Juni
2010, aaO).
7
a) Mit Recht hat das Berufungsgericht bei der Beurteilung
der Zahlungsfähigkeit der GmbH zum Zeitpunkt der Zahlung vom 29. September 2005
die im Jahr 2006 erfolgten Steuererstattungen unberücksichtigt gelassen. Denn
in die Prüfung, ob ein Schuldner in der Lage ist, die fälligen
Zahlungspflichten zu erfüllen (§ 17 Abs. 2 Satz 1 InsO), sind nur diejenigen
liquiden Mittel einzubeziehen, die sich der Schuldner kurzfristig innerhalb von
drei Wochen beschaffen kann (BGH, Urteil vom 24. Mai 2005 - IX ZR 123/04, BGHZ
163, 134, 139; Beschluss vom 19. Juli 2007 - IX ZB 36/07, BGHZ 173, 286 Rn. 30).
Dies traf auf die Steuererstattungsansprüche der GmbH nicht zu.
8
b) Die Steuererstattungen können gleichwohl für die
Beurteilung des Streitfalles von Bedeutung sein. Die Insolvenzreife des
Forderungsschuldners wird regelmäßig dazu führen, dass die Forderung des
Zahlungsempfängers als wertlos und die Tilgung dieser Forderung durch einen
Dritten deshalb als unentgeltliche Leistung zu bewerten ist. Es können aber
auch ausnahmsweise Umstände gegeben sein, die es rechtfertigen, die getilgte
Forderung trotz Zahlungsunfähigkeit des Forderungsschuldners als werthaltig zu
beurteilen. Solche Umstände können etwa vorliegen, wenn der Zahlungsempfänger
die Möglichkeit hat, durch Pfändung auf einen werthaltigen Rückgriffsanspruch
des Forderungsschuldners gegen den Insolvenzschuldner zuzugreifen (BGH, Urteil
vom 19. November 2009 - IX ZR 9/08, WM 2010, 129 Rn. 11; vgl. auch Urteil vom
27. April 2010 - IX ZR 122/09, ZInsO 2010, 1091 Rn. 7). In entsprechender Weise
kann die getilgte Forderung werthaltig sein, wenn sich der Zahlungsempfänger
durch Aufrechnung gegen eine Forderung seines Schuldners Befriedigung
verschaffen und auf diese Weise seine Forderung trotz Insolvenzreife seines
Schuldners durchsetzen kann. So kann es sich im Streitfall verhalten.
9
aa) Bei der Beurteilung der
Werthaltigkeit der getilgten Forderung ist allerdings auf den Zeitpunkt der
Vollendung des Rechtserwerbs, also der angefochtenen Zahlung, abzustellen (§ 140
Abs. 1 InsO). Vorangegangene Leistungen des Zuwendungsempfängers bleiben
deshalb ebenso außer Betracht wie etwa Vorteile, die erst in einem
möglicherweise später eröffneten Insolvenzverfahren eintreten (BGH, Urteil vom
3. März 2005 - IX ZR 441/00, BGHZ 162, 276, 281; vom 16. November 2007 - IX ZR
194/04, BGHZ 174, 228 Rn. 10; vom 26. April 2012 - IX ZR 146/11, WM 2012, 1131
Rn. 43). Die den Wert der Forderung bestimmende Durchsetzbarkeit muss
gleichwohl nicht bereits zum maßgeblichen Zeitpunkt ihrer Begleichung in jeder
Hinsicht gegeben sein. Es kann vielmehr genügen, dass die gegebenen Umstände
die künftige Möglichkeit einer Befriedigung durch Aufrechnung sicher erwarten
lassen. Solche Umstände verleihen - anders als ungewisse Hoffnungen - der
Forderung schon vorab einen entsprechenden Wert.
10
bb) Im Streitfall ist bisher nicht
festgestellt, aufgrund welcher Umstände die Körperschaft- und
Umsatzsteuererklärungen der GmbH für die Jahre 2004 und 2005 im Jahr 2006 zu
beträchtlichen Steuererstattungen geführt haben. Nahe liegt, dass betreffend
die Körperschaftsteuer geringere Gewinne erzielt wurden als in den
Vorauszahlungsbescheiden angenommen (§ 31 Abs. 1 Satz 1 KStG, § 37 EStG) und
betreffend die Umsatzsteuer geringere Umsätze oder höhere Vorsteuerabzüge
anfielen als vorangemeldet (§ 18 UStG), und dass deshalb die
Steuervorauszahlungen die festgesetzten Steuern überstiegen. In diesem Fall war
das Entstehen der Aufrechnungslage im Kern schon angelegt, als die angefochtene
Zahlung der Insolvenzschuldnerin erfolgte. Dies gilt ohne weiteres für das
Veranlagungsjahr 2004 und für das Jahr 2005 jedenfalls dann, wenn die GmbH -
wofür die Einstellung ihres Geschäftsbetriebs am 29. September 2005 spricht -
nach der Zahlung keine Geschäfte mehr tätigte, die für die in Rede stehenden
Steuern von Bedeutung sein konnten, und auch keine Vorauszahlungen mehr
leistete. Dann waren die für die entsprechenden Steuern maßgeblichen
Sachverhalte bereits verwirklicht und die Grundlage für einen Erstattungsanspruch
gelegt. Auf die steuerrechtliche Entstehung (§ 38 AO) oder gar Festsetzung des
Erstattungsanspruchs kommt es in diesem Zusammenhang nicht an. Ansprüche auf
Erstattung von Steuervorauszahlungen entstehen allerdings bereits im Zeitpunkt
der Entrichtung der Vorauszahlung unter der aufschiebenden Bedingung, dass am
Ende des Besteuerungszeitraums die geschuldete Steuer geringer ist als die
Vorauszahlung (BFHE 233, 114 Rn. 12 f mwN). Unter
diesen Umständen wäre eine Aufrechnung selbst dann in Betracht gekommen, wenn
über das Vermögen der GmbH das Insolvenzverfahren eröffnet worden wäre, bevor
die Erstattungsansprüche der GmbH erfüllbar waren (§ 95 Abs. 1 InsO; vgl. BGH,
Urteil vom 24. März 1994 - IX ZR 149/93, WM 1994, 1045, 1046; vom 9. März 2000
- IX ZR 355/98, WM 2000, 933, 934; vom 29. Juni 2004 - IX ZR 147/03, BGHZ 160, 1,
4; vom 19. Juli 2007 - IX ZR 81/06, WM 2007, 1708 Rn. 23). Tatsächlich ist es
zu einem solchen Insolvenzverfahren bis heute nicht gekommen.
11
cc) Sofern die getilgte Steuerforderung des Beklagten gegen
die GmbH die vorangemeldete Umsatzsteuer des Monats September 2005 betraf,
hätte die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der GmbH bis zur
Höhe der späteren Körperschaft- und Umsatzsteuererstattung für 2005 in Höhe von
20.655,59 € ohnehin keinen Einfluss auf die Werthaltigkeit dieser Forderung
haben können. Ohne die angefochtene Zahlung wären bei der Ermittlung der
Steuerschuld der GmbH für das Jahr 2005 entsprechend geringere Vorauszahlungen
berücksichtigt worden. Es hätte sich dann nicht, wie tatsächlich geschehen,
aufgrund der Körperschaft- und Umsatzsteuererklärung der GmbH für das Jahr 2005
ein Guthaben der GmbH in Höhe von 20.655,59 €, sondern eine Zahllast ergeben.
Infolgedessen wäre der Betrag von 20.655,59 € nicht an die GmbH ausgezahlt
worden. Fragen der Zulässigkeit einer Aufrechnung bei späterer Eröffnung eines
Insolvenzverfahrens hätten sich insoweit nicht gestellt, weil es in diesem
Umfang gerade nicht zu einer Aufrechnung oder auch nur Saldierung gekommen
wäre.
12
2. Die Entscheidung des Berufungsgerichts stellt sich nicht
aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO). Die Voraussetzungen anderer
Anfechtungstatbestände als der vom Berufungsgericht angenommenen
Schenkungsanfechtung sind nicht festgestellt. Eine Deckungsanfechtung nach den
§§ 130, 131 InsO scheitert daran, dass der Beklagte nicht Insolvenzgläubiger
der Schuldnerin war und diese auch nicht auf eine vermeintliche eigene Schuld
gegenüber dem Beklagten zahlte (vgl. dazu BGH, Urteil vom 19. Januar 2012 - IX
ZR 2/11, BGHZ 192, 221 Rn. 11 f). Für den Tatbestand der Vorsatzanfechtung nach
§ 133 Abs. 1 InsO fehlt es zumindest an Feststellungen zu einer Kenntnis des
Beklagten von einem Vorsatz der Schuldnerin, ihre Gläubiger zu benachteiligen.
IV.
13
Das Berufungsurteil war daher aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§§ 562 Abs. 1, 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Eine eigene Sachentscheidung kann der Senat nicht treffen, weil die Sache nach den bisher getroffenen Feststellungen nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 56 Abs. 3 ZPO). Die Zurückverweisung gibt dem Berufungsgericht Gelegenheit, auf der Grundlage des gegebenenfalls ergänzten Vortrags der Parteien die notwendigen Feststellungen zur Werthaltigkeit der getilgten Steuerforderung des Beklagten zu treffen. Da die auf eine Aufrechnungsmöglichkeit gestützte Werthaltigkeit einer Forderung gegen einen insolvenzreifen Schuldner eine Ausnahme von dem Grundsatz darstellt, dass Forderungen gegen zahlungsunfähige Schuldner wertlos sind, trägt der Anfechtungsgegner die Darlegungs- und Beweislast für diese Ausnahme.