BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
BESCHLUSS
Das Aufrechnungsverbot des § 394 BGB i. V. mit § 850b I Nr. 2 ZPO gilt auch zugunsten von Trägern
öffentlicher Sozialleistungen, soweit diese Leistungen der Sozialhilfe oder
Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts im Rahmen der Grundsicherung für
Arbeitsuchende erbracht haben und der Unterhaltsanspruch des Hilfeempfängers
auf sie übergegangen ist.
BGH, Beschluss vom 8. Mai 2013 - XII ZB 192/11 - OLG Dresden
AG Leipzig
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 8. Mai
2013 durch den Vorsitzenden Richter Dose, die Richterin Dr. Vezina
und die Richter Dr. Klinkhammer, Dr. Günter und Dr. Botur beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 24. Zivilsenats
- Familiensenat - des Oberlandesgerichts Dresden vom 6. April 2011 wird auf
Kosten des Antragsgegners zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
1
Der Antragsgegner ist Vater eines am 5. Januar 2007 nicht
ehelich geborenen Kindes. An die Kindesmutter, die von dem Antragsgegner
getrennt lebt und das Kind allein betreut, zahlte er während der ersten drei
Lebensjahre des Kindes keinen Betreuungsunterhalt.
2
Im Zeitraum zwischen dem 1. September 2007 und dem 31.
Januar 2010 erbrachte der Antragsteller an die Kindesmutter Leistungen zur
Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in einer Gesamthöhe von
11.678,01 €. Zwischen den Beteiligten ist außer Streit, dass der als
Rechtsanwalt selbständig tätige Antragsgegner in diesem Zeitraum
unterhaltsrechtlich leistungsfähig war und die Kindesmutter gegen ihn einen
Unterhaltsanspruch mindestens in Höhe der von dem Antragsteller gewährten Leistungen
hatte.
3
Der Antragsteller verlangt von dem Antragsgegner aus
übergegangenem Recht der Kindesmutter Zahlung von Betreuungsunterhalt im Umfang
der von ihm im Zeitraum von September 2007 bis Januar 2010 erbrachten
Sozialleistungen. Der Antragsgegner hat die Aufrechnung mit einer Forderung
gegen die Kindesmutter wegen der Rückzahlung eines ihr in den Jahren 2005 und
2006 gewährten Darlehens in Höhe von 12.500,00 € erklärt. Das Amtsgericht hat
den Antragsgegner antragsgemäß zur Zahlung verpflichtet. Die dagegen gerichtete
Beschwerde des Antragsgegners hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen.
4
Hiergegen wendet sich der Antragsgegner mit seiner
zugelassenen Rechtsbeschwerde, mit der er sein Begehren auf vollständige
Zurückweisung des Zahlungsantrages weiterverfolgt.
Entscheidungsgründe:
5
Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.
I.
6
Das Beschwerdegericht hat seine Entscheidung, deren
Leitsätze in FamRZ 2011, 1681 veröffentlicht sind, im Wesentlichen wie folgt
begründet: Der Antragsgegner könne gegenüber dem Antragsteller nicht die
Aufrechnung mit der „unstreitigen" Darlehensforderung gegenüber der
Kindesmutter erklären. Dies ergebe sich aber entgegen der vom Amtsgericht
vertretenen Auffassung nicht aus § 394 BGB i.V.m. §
850 b Abs. 1 Nr. 2 ZPO. Zwar sei der Betreuungsunterhaltsanspruch einer Mutter
nach § 1615 l BGB in der Regel unpfändbar, was zum Verbot der Aufrechnung
führe. Diese Pfändungsschutzvorschriften dienten allerdings nur dazu, dem
Unterhaltsberechtigten eine sichere Lebensgrundlage zu verschaffen. Dieser
besondere Schutz sei nicht mehr erforderlich, wenn der Unterhaltsanspruch auf
einen Dritten übergegangen sei, der Unterhalt anstelle des eigentlichen
Schuldners geleistet habe. In der Person dieses Dritten lägen keine Gründe vor,
die eine Fortdauer des Pfändungsschutzes rechtfertigen könnten.
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Nichts anderes könne gelten, wenn der Unterhaltsanspruch auf
einen Sozialleistungsträger übergegangen sei. Es sei nicht zu erkennen, dass §
850 b Abs. 1 Nr. 2 ZPO und § 394 BGB in einem solchen Fall auch oder sogar
vorrangig der Entlastung der Sozialsysteme dienten. Ein Schutz der
Sozialsysteme sei nicht erforderlich, weil eine Pfändung der auf einen
Sozialleistungsträger übergegangenen Forderung kaum im Raum stehen dürfte. Es
sei auch kein Bedürfnis dafür erkennbar, dass der Sozialleistungsträger die auf
ihn übergegangene Forderung nicht abtreten dürfe; dies wäre jedoch nach § 400
BGB eine Konsequenz, wenn man der übergegangenen Unterhaltsforderung weiter den
Schutz des § 850 b Abs. 1 Nr. 2 ZPO zubilligen wollte.
8
Eine Benachteiligung des Sozialleistungsträgers werde
allerdings durch die Vorschriften über die Abtretung und Aufrechnung
verhindert. Nach §§ 406, 412 BGB könne der Schuldner im Falle des gesetzlichen
Forderungsübergangs eine ihm gegen den bisherigen Gläubiger zustehende
Forderung auch dem neuen Gläubiger gegenüber aufrechnen. Diese Vorschrift diene
dem Schutz des Schuldners, der durch den Forderungsübergang, auf den er keinen
Einfluss habe, in seiner Position als Schuldner nicht verschlechtert werden
solle. § 406 BGB regele daher eine Ausnahme vom Gegenseitigkeitsprinzip, die
dem Schuldner die Möglichkeit gebe, trotz fehlender Gegenseitigkeit der
Forderungen auch gegenüber dem neuen Gläubiger aufzurechnen. Voraussetzung sei
allerdings, dass der Schuldner auch gegenüber dem ursprünglichen Gläubiger habe
aufrechnen können, denn § 406 BGB diene lediglich dem Schutz des Schuldners vor
einer Verschlechterung seiner Rechtslage; die Vorschrift solle demgegenüber
keine Verbesserung seiner Rechtslage durch eine Abtretung oder einen
gesetzlichen Forderungsübergang bewirken. Es könne daher mit § 406 BGB nicht
begründet werden, dass eine gegenüber dem ursprünglichen Gläubiger unpfändbare
und damit durch Aufrechnung nicht zu beseitigende Forderung durch den
Forderungsübergang aufrechnungsfähig werde. Dann müsse es beim Erfordernis der
Gegenseitigkeit beider Forderungen bleiben, so dass der Antragsgegner im
Verhältnis zum Antragsteller die Aufrechnung mit einer Forderung gegen die
Kindesmutter nicht wirksam habe erklären können.
II.
9
Dies hält der rechtlichen Nachprüfung zwar nicht in der
Begründung, wohl aber im Ergebnis stand.
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1. Nicht gefolgt werden kann der Auffassung des
Beschwerdegerichts, dass die von dem Antragsgegner erklärte Aufrechnung von
vornherein an der fehlenden Gegenseitigkeit der Forderungen (§ 387 BGB)
scheitern müsste.
11
a) Dabei ist es im rechtlichen Ausgangspunkt richtig, dass
der Antragsteller als (Neu-) Gläubiger der nach § 33 SGB II auf ihn
übergegangenen Unterhaltsansprüche (Hauptforderung) nicht gleichzeitig der
Schuldner der von dem Antragsgegner geltend gemachten und gegen die
Kindesmutter gerichteten Gegenforderung auf Darlehensrückzahlung ist. In solchen
Fällen, in denen die Hauptforderung durch Abtretung oder - wie hier - im Wege
der Legalzession auf einen neuen Gläubiger übergeht,
wird indessen das Prinzip der Gegenseitigkeit der Forderungen bei der
Aufrechnung durch § 406 BGB (i.V.m. § 412 BGB)
insoweit durchbrochen, als die Gegenseitigkeit von Hauptforderung und
Gegenforderung trotz des Gläubigerwechsels als weiterbestehend behandelt wird
(BGH Urteil vom 22. Dezember 1995 - V ZR 52/95 - NJW 1996, 1056, 1057; BGHZ 58,
327, 329 = NJW 1972, 1193, 1194; BGHZ 19, 153, 157 = NJW 1956, 257).
12
Noch zutreffend hat das Beschwerdegericht weiter erkannt,
dass der Bestimmung des § 406 BGB - ebenso wie im Falle des § 404 BGB - der
Gedanke des Schuldnerschutzes zugrunde liegt. Der Schuldner soll durch die
Abtretung bzw. den Forderungsübergang nicht benachteiligt, also gegenüber dem
neuen Gläubiger nicht ungünstiger gestellt werden, als er gegenüber seinem
alten Gläubiger stand (BGH Urteil vom 26. Juni 2002 - VIII ZR 327/00 - NJW
2002, 2865; BGHZ 58, 327, 329 = NJW 1972, 1193, 1194; BGHZ 19, 153, 156 = NJW
1956, 257). Dem Schuldner soll die Aufrechnung gegenüber dem Zessionar mit
einer Gegenforderung gegen den Zedenten grundsätzlich immer dann gestattet
werden, wenn er ohne die Abtretung der gegen ihn gerichteten Hauptforderung
damit rechnen durfte, diese nicht erfüllen zu müssen, sondern durch Aufrechnung
tilgen zu können (BGHZ 19, 153, 157 = NJW 1956, 257).
13
b) Diese Grundsätze rechtfertigen aber nicht den vom
Beschwerdegericht gezogenen Umkehrschluss, dass mit der Erstreckung der
Aufrechnungsmöglichkeit auf das Verhältnis zwischen dem Zessionar und dem
Schuldner eine Besserstellung des Schuldners nicht verbunden sein dürfe.
14
Der Gesetzgeber hat im Zusammenhang mit dem Gläubigerwechsel
bei der Abtretung der Hauptforderung kein generelles Verschlechterungsverbot
zugunsten des Schuldners aufstellen wollen, so dass es der Schuldner
beispielsweise hinnehmen muss, dass er höchstpersönliche Einreden, die ihm
gegenüber dem Zedenten zustanden, gegenüber dem Zessionar nicht geltend machen
kann (vgl. dazu Schwarz AcP 203 [2003], 241, 270 f.).
Auch muss sich der Schuldner damit abfinden, dass er sich - wie es auch unter
den hier obwaltenden Umständen der Fall sein dürfte - durch den
Gläubigerwechsel einem möglicherweise "unangenehmeren" Gläubiger
gegenüber sieht. Dann aber lässt sich umgekehrt auch ein generelles
Verbesserungsverbot nicht begründen, so dass keine grundsätzlichen Erwägungen
dagegen streiten, die Aufrechnung des Schuldners gegenüber dem Zessionar mit
einer Gegenforderung gegen den Zedenten unter Umständen auch dann zuzulassen,
wenn erst durch die Abtretung ein zuvor bestehendes Aufrechnungsverbot
beseitigt wird (RGRK/Weber BGB 12. Aufl. § 406 Rn.
2). Wäre die Rechtsansicht des Beschwerdegerichts richtig, müsste sich
folgerichtig aus § 406 BGB ein allgemeiner Grundsatz dergestalt herleiten
lassen, dass eine Aufrechnung, die dem Schuldner gegenüber dem Zedenten
gesetzlich versagt war, auch gegenüber dem Zessionar stets unstatthaft sein
müsste; dies trifft freilich nicht zu (RGZ 140, 43, 46; BGHZ 35, 317, 327 = NJW
1961, 1966, 1968).
15
2. Die Entscheidung erweist sich allerdings im Ergebnis aus
anderen Gründen als richtig, weil das Aufrechnungsverbot des § 394 BGB i.V.m. § 850 b Abs. 1 Nr. 2 ZPO auch zugunsten von Trägern
öffentlicher Sozialleistungen gilt, wenn und soweit diese Leistungen der
Sozialhilfe oder im Rahmen der Grundsicherung für Arbeitsuchende Leistungen zur
Sicherung des Lebensunterhalts erbracht haben und der Unterhaltsanspruch des
Hilfeempfängers auf sie übergegangen ist.
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a) Die Frage, ob ein Aufrechnungsverbot im Rahmen des § 406
BGB zugunsten des Neugläubigers auch noch nach der Abtretung bzw. nach einem
gesetzlichen Übergang der Hauptforderung gilt, ist nach dem Zweck des
Aufrechnungsverbots zu entscheiden (BGHZ 35, 317, 327 = NJW 1961, 1966, 1968;
BGHZ 95, 109, 117 = NJW 1985, 2820, 2822). Durch den Forderungsübergang auf
einen Sozialleistungsträger wird die Rechtsnatur eines Unterhaltsanspruches
nicht geändert (Senatsurteile vom 1. Juli 1987 - IVb
ZR 74/86 -FamRZ 1987, 1014, 1015 und vom 9. Oktober 1991 - XII ZR 171/90 -
FamRZ 1992, 306, 307).
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b) Darüber, ob sich auch ein Sozialleistungsträger wegen der
auf ihn übergegangenen Unterhaltsansprüche gegenüber dem Unterhaltsschuldner
auf das Aufrechnungsverbot nach § 394 BGB i.V.m. §
850 b Abs 1 Nr. 2 ZPO berufen kann, besteht in
Rechtsprechung und Schrifttum keine Einigkeit.
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Teilweise wird hierzu - mit dem Beschwerdegericht - die
Auffassung vertreten, dass sich ein Träger öffentlicher Sozialleistungen wegen
der auf ihn übergegangenen Unterhaltsansprüche nicht auf ein Aufrechnungsverbot
berufen könne, weil auch der Pfändungsschutz nach § 850 b Abs. 1 Nr. 2 ZPO mit
dem Anspruchsübergang entfallen sei (LG Heilbronn FamRZ 1990, FAMRZ Jahr 1990
Seite 795; Palandt/Grüneberg BGB 72. Aufl. § 394 Rn. 1; Staudinger/Gursky BGB
[Bearbeitungsstand: 2011] § 394 Rn. 55; Erman/Wagner BGB 13. Aufl. § 394 Rn. 5;
Wendl/Klinkhammer Das Unterhaltsrecht in der
familienrichterlichen Praxis 8. Aufl. § 8 Rn. 77; Günther in: Schnitzler
Münchener Anwaltshandbuch Familienrecht 3. Aufl. § 12 Rn. 185; Born in
Heiß/Born Unterhaltsrecht [Bearbeitungsstand: 2012] 27. Kap. Rn. 98; Scholz in
Scholz/Kleffmann/Motzer Praxishandbuch
Familienrecht [Bearbeitungsstand: 2012] Teil L Rn. 91).
19
Eine andere Ansicht will demgegenüber auch dem
Sozialleistungsträger zubilligen, sich gegenüber dem Unterhaltsschuldner wegen
einer übergegangenen Unterhaltsforderung, die bei dem Hilfeempfänger dem
Pfändungsschutz nach § 850 b Abs. 1 Nr. 2 ZPO unterlag, auf das
Aufrechnungsverbot zu berufen (OLG Düsseldorf FamRZ 2006, 1532 f.; AG
Gummersbach FamRZ 1998, 177 f. mit zust. Anm. Plascher
FamRZ 1998, 178; Wendl/Dose Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis
8. Aufl. § 6 Rn. 302; Niepmann/Schwamb
Die Rechtsprechung zur Höhe des Unterhalts 12. Aufl. Rn. 284; Friederici in: Schnitzler Münchener Anwaltshandbuch
Familienrecht 3. Aufl. § 5 Rn. 63; Meller-Hannich in: Kindl/Meller-Hannich/Wolf
Gesamtes Recht der Zwangsvollstreckung 2. Aufl. § 850 b ZPO Rn. 39; wohl auch LSG Rheinland-Pfalz Urteil vom 23. April 2009 - L 5 AS
81/07 - juris Rn. 23 aE).
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c) Der Senat folgt der letztgenannten Auffassung für den
Fall, dass der Sozialleistungsträger an den Unterhaltsberechtigten Leistungen
der Sozialhilfe oder Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts im Rahmen
der Grundsicherung für Arbeitsuchende erbringt und der Unterhaltsanspruch nach §
94 Abs. 1 SGB XII bzw. nach § 33 Abs. 1 SGB II im Wege der Legalzession
auf ihn übergeht.
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aa) Die Annahme, dass das aus §
394 BGB i.V.m. § 850 b Abs. 1 Nr. 2 ZPO folgende
Aufrechnungsverbot ausnahmslos auf den bisherigen Unterhaltsgläubiger
beschränkt bleiben müsse, lässt sich nicht zwangsläufig aus dem Zweck des
Gesetzes herleiten. Es ist zwar richtig, dass die von § 394 BGB in Bezug
genommenen Pfändungsverbote der Zivilprozessordnung in erster Linie dem Schutz
des Unterhaltsberechtigten davor dienen, dass ihm und seiner Familie die zur
Sicherung des Existenzminimums benötigten Vermögenswerte nicht entzogen werden
(vgl. BT-Drucks. 8/693, S. 45; MünchKommZPO/Smid, 3.
Aufl. § 850 Rn. 1; Zöller/Stöber ZPO 29. Aufl. § 850 Rn. 1) und dieser Gedanke
gegenüber einem Dritten, der die Forderung von dem schutzbedürftigen
ursprünglichen Unterhaltsgläubiger erwirbt, nicht ohne weiteres zum Tragen
kommt. In der Sicherung der Existenz des Forderungsinhabers und seiner
Angehörigen erschöpft sich der Zweck des Aufrechnungsverbotes nach § 394 BGB
allerdings nicht. Angesichts des heutigen Umfangs der Sozialleistungssysteme
dient das Aufrechnungsverbot (zumindest) auch dem Schutz der öffentlichen
Kassen, die für die Existenzsicherung des ursprünglichen Gläubigers einzustehen
hätten (vgl. MünchKommBGB/Schlüter 6. Aufl. § 394 Rn.
1; RGRK/Weber BGB 12. Aufl. § 394 Rn. 1;
Staudinger/Gursky BGB [Bearbeitungsstand: 2011] § 394 Rn. 4; Gernhuber Die Erfüllung und ihre Surrogate 2. Aufl. § 12 VI
4; vgl. auch BAG NJW 2001, 1443 zu § 400 BGB). Schon vor Inkrafttreten des
früheren Bundessozialhilfegesetzes und im Einklang mit den Motiven zum Entwurf
des BGB (vgl. Motive II S. 113, zitiert bei Mugdan,
Die gesamten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Bd. II S. 62) war es in
der höchstrichterlichen Rechtsprechung anerkannt, dass die sich aus § 394 BGB
und aus §§ 400, 1274 Abs. 2 BGB ergebenden materiell-rechtlichen
Einschränkungen der Verkehrsfähigkeit unpfändbarer Forderungen auch im
Interesse des Allgemeinwohls erlassen worden sind, um den ursprünglichen
Gläubiger nicht der "öffentlichen Fürsorge und Armenpflege"
anheimfallen zu lassen (vgl. BGHZ 4, 153, 154 f.; RGZ 106, 205, 206 und 133,
249, 256).
22
bb) Das Bundesarbeitsgericht hat
zu § 394 BGB i.V.m. § 850 c ZPO bezüglich der
Unzulässigkeit der Aufrechnung gegen unpfändbares Arbeitseinkommen mehrfach
erkannt, dass das Aufrechnungsverbot in bestimmten Fällen auch einem
Sozialversicherungsträger zugutekommen kann, auf den kraft Gesetzes die
Entgeltansprüche eines bei ihm versicherten Arbeitnehmers übergegangen sind.
Diese Rechtsprechung betraf die Fälle, in denen der Arbeitgeber seiner
Verpflichtung zur Lohnzahlung bzw. zur Lohnfortzahlung im Krankheitsfall nicht
nachgekommen war, und die für den Arbeitnehmer durch Leistung von
Arbeitslosengeld bzw. von Krankengeld einstehenden Sozialversicherungsträger
durch gesetzlichen Forderungsübergang nach den seinerzeit geltenden
sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften (§ 137 Abs. 4 AFG bzw. § 182 Nr. 10
RVO aF) Gläubiger der aus dem Arbeitsverhältnis herrührenden Lohn- bzw.
Lohnfortzahlungsansprüche des Arbeitnehmers geworden waren (BAG NZA 1985, 186
f. und DB 1979, 1848, 1850). Zur Begründung hat das Bundesarbeitsgericht
ausgeführt, dass sich in diesen, wegen des Anspruchsüberganges nunmehr
einheitlich in § 115 SGB X geregelten Fällen bereits aus der gesetzlichen
Anordnung des Forderungsüberganges erschließe, dass den Träger der gesetzlichen
Arbeitslosen- bzw. Krankenversicherung lediglich eine vorläufige
Einstandspflicht treffe, um die Lebensgrundlage des Arbeitnehmers für den
Zwischenzeitraum sicherzustellen, in dem der Arbeitgeber seinen
Zahlungspflichten nicht nachkommt. Wenn sich die Sozialversicherungsträger in
diesen Fällen nicht auf das Aufrechnungsprivileg des § 394 BGB berufen könnten,
würde sich der Arbeitgeber durch die Nichterfüllung seiner Entgelt- bzw. Entgeltfortzahlungspflicht
auf Kosten der Allgemeinheit bzw. der Solidargemeinschaft einen
ungerechtfertigten Vorteil verschaffen können (vgl. BAG NZA 1985, 186, 187 und
DB 1979, 1848, 1850).
23
cc) Wegen der Vergleichbarkeit der Interessenlagen sind die
Grundsätze dieser Rechtsprechung auch dann anwendbar, wenn ein
Sozialleistungsträger Hilfen zum Lebensunterhalt gewährt, weil ein
Unterhaltsschuldner seiner Leistungspflicht nicht nachkommt.
24
Die sich aus dem Gesetz ergebende (§ 2 Abs. 2 Satz 1 SGB XII
bzw. § 9 Abs. 1 SGB II) Subsidiarität der Sozialhilfe und der Leistungen zur
Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II soll durch den Anspruchsübergang
nach § 94 Abs. 1 SGB XII bzw. § 33 Abs. 1 SGB II verwirklicht werden, indem sie
den Sozialleistungsträger grundsätzlich in die Lage versetzt, durch Eintritt in
die Gläubigerposition des Leistungsempfängers den Zustand nachträglich
herzustellen, der dem vom Gesetz gewollten Vorrang der Verpflichtung anderer
(hier: des Unterhaltsschuldners) entspricht, die dem Leistungsempfänger die
erforderliche Hilfe hätten gewähren müssen (vgl. bereits BVerwG NJW 2000, 601
und NJW 1990, 3288 zu § 90 BSHG). Könnte sich der Sozialleistungsträger auf das
Aufrechnungsverbot nach § 394 Abs. 1 BGB i.V.m. § 850
b Abs. 1 Nr. 2 ZPO nicht berufen, wäre es dem Unterhaltsschuldner in die Hand
gegeben, den Unterhaltsberechtigten durch Nichtleistung des geschuldeten
Unterhalts zur Inanspruchnahme von Sozialleistungen zu veranlassen, um
anschließend private Forderungen gegen den Unterhaltsgläubiger zu Lasten der
Allgemeinheit durchsetzen zu können. Für eine solche Besserstellung des
säumigen Unterhaltsschuldners findet sich keine Rechtfertigung.
25
dd) Dieser Beurteilung steht nicht
entgegen, dass nach § 400 BGB eine Forderung grundsätzlich nicht abgetreten
werden kann, soweit sie - wie gesetzliche Unterhaltsansprüche gemäß § 850 b
Abs. 1 Nr. 2 ZPO - der Pfändung nicht unterworfen ist. Es entspricht allerdings
der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, dass eine Abtretung der
Unterhaltsforderung jedenfalls dann erfolgen kann, wenn die Forderung nicht
mehr dem Unterhaltsberechtigten, sondern aufgrund gesetzlichen
Forderungsübergangs einem Dritten zusteht, der keines Pfändungsschutzes nach §
850 b 1 Satz 2 ZPO bedarf (BGH Urteil vom 24. September 1981 - IX ZR 80/80 -
FamRZ 1982, 50, 51); dieser Dritte kann auch ein Sozialleistungsträger sein
(Senatsurteil vom 3. Juli 1996 - XII ZR 99/95 - FamRZ 1996, 1203, 1204).
Entgegen der Ansicht des Beschwerdegerichts würde eine Privilegierung des
Sozialleistungsträgers in Bezug auf das Aufrechnungsverbot nach § 394 BGB nicht
zwangsläufig zu der - nicht im Einklang mit dieser Rechtsprechung stehenden -
Schlussfolgerung nötigen, dass der Sozialleistungsträger die auf ihn im Wege
der Legalzession übergegangene Unterhaltsforderung
auch nicht abtreten darf. Obwohl die durch §§ 394, 400 BGB bewirkte
Einschränkung der Verkehrsfähigkeit einer unpfändbaren Forderung letztlich auf
den gleichen gesetzgeberischen Erwägungen beruht, gibt es keinen unbedingten
Gleichlauf bei der Anwendung beider Vorschriften. So ist es anerkannt, dass
sich der Schutzzweck des Abtretungsverbots in den Fällen erledigt hat, in denen
der Zessionar seinerseits dem Zedenten die (wirtschaftlich gleichwertige)
Leistung erbringt, die ihm § 400 BGB sichern will (BGHZ 59, 109, 115 = NJW
1972, 1703, 1705; BGHZ 127, 354, 356 = NJW 1995, 323 mwN; BAG NJW 2001, 1443).
Dies gilt auch für die Abtretung von Unterhaltsansprüchen (vgl. OLG Bremen
FamRZ 2002, 1189), so dass eine Unterhaltsforderung durch den
Unterhaltsgläubiger durchaus abgetreten werden kann, obwohl sie bei ihm
(weiterhin) dem Aufrechnungsverbot nach § 394 BGB i.V.m.
§ 850 b 1 Nr. 2 ZPO unterliegt.
26
d) Für die Aufrechnung mit einer Gegenforderung des Antragsgegners wegen Rückzahlung eines der Kindesmutter gewährten Darlehens ist daher kein Raum, so dass es bei der Zurückweisung der Beschwerde gegen die zutreffende Entscheidung des Amtsgerichts bleibt.