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Bundesgerichtshof
Beschluss
1. Ein Vollstreckungstitel, durch den der Schuldner zur
Räumung eines Hauses verurteilt worden ist, bei dem ein Raum aufgrund eines
Durchbruchs einen Teil des Nachbarhauses mitumfasst, ist nicht unbestimmt, wenn
der Gerichtsvollzieher mit allgemein zugänglichen Hilfsmitteln (etwa Bauplänen)
und unter Heranziehung von sachkundigen Hilfspersonen klären kann, was zu dem zu
räumenden Haus gehört. (amtlicher Leitsatz)
Die Rechtsbeschwerde der Schuldner gegen den Beschluss der
2. Zivilkammer des Landgerichts Koblenz vom 16. August 2012 wird zurückgewiesen.
Gründe:
I. Die Schuldner hatten das Hausgrundstück U.-Straße 6 in
Bad B. zusammen mit Räumlichkeiten im Erdgeschoss des Nachbarhauses U.-Straße 4
vom Gläubiger gemietet. Die Häuser sind im Erdgeschoss verbunden; im Wohnzimmer
des Hauses U.-Straße 6 befindet sich ein Durchbruch zum Haus U.-Straße 4.
Die Schuldner sind rechtskräftig verurteilt, das
Einfamilienhaus U.Straße 6 in Bad B. einschließlich Garage, Kellerraum und
Garten zu räumen und an den Gläubiger herauszugeben.
Aufgrund eines Zwangsvollstreckungsauftrags des Gläubigers
hat die Gerichtsvollzieherin Termin zur Räumung des Hauses angesetzt. Dagegen
haben die Schuldner Erinnerung eingelegt, mit der sie geltend gemacht haben, die
Räumung allein des Anwesens U.-Straße 6 liefe auf eine unzulässige Teilräumung
hinaus. Zudem nutze ihr volljähriger Sohn, der im Obergeschoss des Hauses
U.-Straße 4 wohne, die Küche des Hauses U.-Straße 6 mit.
Das Amtsgericht Sinzig hat auf die Erinnerung der Schuldner
die Zwangsräumung für unzulässig erklärt. Auf die sofortige Beschwerde des
Gläubigers hat das Landgericht Koblenz den Beschluss des Amtsgerichts Sinzig
aufgehoben und die Erinnerung der Schuldner zurückgewiesen.
Dagegen richtet sich die vom Beschwerdegericht zugelassene
Rechtsbeschwerde der Schuldner.
II. Das Beschwerdegericht hat angenommen, dass die
Zwangsräumung des Einfamilienhauses U.-Straße 6 in Bad B. aufgrund des
Vollstreckungstitels nach § 885 ZPO zulässig ist. Zur Begründung hat es
ausgeführt:
Auch wenn der Termin zur Zwangsräumung am 7. Mai 2012
zwischenzeitlich verstrichen sei, bestehe ein Rechtsschutzbedürfnis für eine
Entscheidung im Beschwerdeverfahren, weil die Räumung des Hauses noch nicht
durchgeführt sei. Ein Mitbesitz des volljährigen Sohns der Schuldner an den
Räumen des Hauses U.-Straße 6 sei nicht festgestellt. Der Vollstreckungstitel
sei auch inhaltlich klar und unmissverständlich. Die Gerichtsvollzieherin könne
ohne weiteres auch im Erdgeschoss der Häuser U.-Straße 4 und 6 die Räume
feststellen, die vom Vollstreckungstitel erfasst seien.
III. Die gemäß § 574 Absatz 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthafte
Rechtsbeschwerde ist zulässig § 575 ZPO). In der Sache hat sie keinen Erfolg.
1. Die Erinnerung der Schuldner ist nach § 766 ZPO
zulässig. Den Schuldnern fehlt nicht das für die Erinnerung erforderliche
Rechtsschutzbedürfnis. Der Umstand, dass der Termin zur Zwangsräumung vom 7. Mai
2012 verstrichen ist, macht die Erinnerung nicht unzulässig. Das
Rechtsschutzbedürfnis für die Erinnerung nach § 766 ZPO gegen Maßnahmen des
Gerichtsvollziehers nach § 885 Absatz 1 ZPO besteht regelmäßig solange, bis die
Zwangsvollstreckung beendet ist (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Dezember 2004 -IXa
ZB 324/03, MDR 2005, Seite 648; Beschluss vom 15. Oktober 2009 -VII ZB 1/09,
NJW-RR 2010, Seite 785 Rn. 9 und 10). Im vorliegenden Fall ist die
Zwangsvollstreckung noch nicht beendet, weil die Schuldner das Hausgrundstück
U.-Straße 6 noch nicht geräumt haben und - je nach Ausgang des vorliegenden
Verfahrens - mit der Anberaumung eines neuen Räumungstermins durch die
Gerichtsvollzieherin rechnen müssen.
Das Rechtsschutzbedürfnis fehlt vorliegend auch nicht
deshalb, weil die Schuldner ausschließlich Verstöße gegen das
Vollstreckungsrecht geltend machen, die Rechte Dritter betreffen. Die Schuldner
berufen sich auf eine Unbestimmtheit des Vollstreckungstitels. Damit stützen sie
die Erinnerung auf einen Verstoß gegen das Vollstreckungsrecht, der sie selbst
beschwert.
2. Die Erinnerung ist jedoch unbegründet.
a) Die Rechtsbeschwerde rügt ohne Erfolg, das
Beschwerdegericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, der volljährige Sohn der
Schuldner habe keinen Mitbesitz an den Räumen des Hauses U.-Straße 6. Das
Obergeschoss des Hauses U.-Straße 4, das der Sohn der Schuldner angemietet habe,
verfüge weder über ein Wohnzimmer noch eine Küche. Da das Obergeschoss des
Hauses nicht vom Erdgeschoss getrennt sei, hätten die Schuldner dem Sohn den
Mitbesitz auch an dem Wohnzimmer der Häuser U.-Straße 4 und 6 und den übrigen
Räumen des Hauses U.-Straße 6 eingeräumt.
Mit der Erinnerung können die Schuldner nur Verstöße gegen
das Vollstreckungsrecht geltend machen, die sie selbst beschweren. Daran fehlt
es, wenn die Schuldner eine Beeinträchtigung durch die Herausgabevollstreckung
aus dem Recht eines Dritten ableiten (vgl. BGH, Beschluss vom 13. August 2009 -
I ZB 91/08, NJW-RR 2010, Seite 281 Rn. 9). Das ist der Fall, weil die Schuldner
sich auf den Mitbesitz eines an dem vorliegenden Verfahren nicht beteiligten
Dritten berufen.
b) Das Beschwerdegericht hat zu Recht angenommen, der
Vollstreckungstitel sei hinreichend bestimmt. Es gebe keine Zweifel, dass alle
Räume innerhalb des Hauses U.-Straße 6 zu räumen seien. Diese Räume könne die
Gerichtsvollzieherin ohne weiteres bestimmen. Daran sei sie auch nicht dadurch
gehindert, dass im Erdgeschoss des Wohnzimmers des Hauses U.-Straße 6 ein
Durchbruch zu einem Raum des Hauses U.-Straße 4 bestehe.
Die Rechtsbeschwerde macht dagegen geltend, es bestehe
nicht lediglich ein Durchbruch zwischen den Häusern U.-Straße 4 und 6. Vielmehr
sei das Wohnzimmer des Hauses U.-Straße 6 von dem weiteren Raum im Erdgeschoss
des Hauses U.-Straße 4 räumlich nicht getrennt. Die räumliche Trennung fehle
auch bei dem Wintergarten und einer Terrasse im ersten Obergeschoss der Häuser.
Die Stromversorgung der Häuser sei ebenfalls nicht getrennt. Diese Angriffe
verhelfen der Rechtsbeschwerde nicht zum Erfolg.
Allerdings kann mit der Erinnerung nach § 766 ZPO geltend
gemacht werden, der Tenor eines Vollstreckungstitels sei derart unbestimmt, dass
er keinen vollstreckbaren Inhalt habe (vgl. BGH, Beschluss vom 4. Dezember 2008
- I ZB 120/05, NJW-RR 2009, 445 Rn. 9; OLG Frankfurt, OLGR 1998, 134; LAG Köln,
Urteil vom 26. März 2004 - 4 Sa 1393/03, juris Rn. 4;
Wieczorek/Schütze/Salzmann, ZPO, 3. Aufl., § 766 Rn. 43; Zöller/Stöber, ZPO, 29.
Aufl., § 766 Rn. 15). Ein Titel, dessen Inhalt auch durch Auslegung vom
Vollstreckungsorgan nicht ermittelt werden kann, kann nicht Grundlage von
Zwangsvollstreckungsmaßnahmen sein (vgl. OLG Hamm, MDR 1983, 849). In einem
solchen Fall muss der Gläubiger die Reichweite des Titels durch eine
Feststellungsklage klären (vgl. BGH, Urteil vom 25. September 1972 - VIII ZR
81/71, NJW 1972, 2268).
Der vorliegende Vollstreckungstitel ist hinreichend
bestimmt. Die Schuldner sind verurteilt worden, das Einfamilienhaus U.-Straße 6
in Bad B. einschließlich Garage, Keller und Garten zu räumen und an den
Gläubiger herauszugeben. Soweit sich Unklarheiten ergeben, welche Teile der
Räumlichkeiten und Bauteile zu dem zu räumenden Grundstück U.-Straße 6 gehören,
muss der Gerichtsvollzieher als Vollstreckungsorgan klären, welche Gebäudeteile
dem Hausgrundstück zuzuordnen sind. Sollte dies anhand der Örtlichkeiten nicht
ohne weiteres möglich sein, muss der Gerichtsvollzieher sich mit allgemein
zugänglichen Hilfsmitteln - etwa Bauplänen - vergewissern, welche Räumlichkeiten
und Flächen zum Gebäude U.-Straße 6 gehören. Kann der Gerichtsvollzieher ohne
sachkundige Unterstützung die Frage nicht klären, muss er, wie sonst auch bei
der Räumung selbst, Hilfspersonen hinzuziehen. Anhaltspunkte dafür, dass es dem
Vollstreckungsorgan danach nicht möglich ist, den Umfang des zu räumenden Hauses
genau zu bestimmen, bestehen nicht. Auch die nach dem Vortrag der Schuldner
bestehende gemeinsame Stromversorgung der Häuser macht den Vollstreckungstitel
nicht unbestimmt.
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c) Anders als die Rechtsbeschwerde meint, ist mit der
Einweisung des Gläubigers in den Besitz am Haus U.-Straße 6 auch keine
unzulässige Einräumung von Mitbesitz am Haus U.-Straße 4 verbunden. Die
Einweisung in den Besitz des Hauses U.-Straße 6 ist auf die zu diesem Gebäude
gehörenden Räume und Flächen beschränkt, deren genaue Zuordnung die
Gerichtsvollzieherin zu klären hat. Dass eine derartige Beschränkung rechtlich
und tatsächlich möglich ist, zeigt die Vorschrift des § 865 BGB über den
Teilbesitz.
d) Die Rechtsbeschwerde rügt ohne Erfolg, eine
Zwangsräumung des Hauses U.-Straße 6 sei mit Art. 13 GG unvereinbar. Durch
dieses Grundrecht werde der angemietete Wohnraum als Privatsphäre vor dem
Eingriff Dritter, auch des Eigentümers, geschützt. Der Schutz des Mieters an den
Mieträumen als Ort seines Lebensmittelpunkts ginge ins Leere, wenn er einen
räumlich nicht abgetrennten Teil weiter nutzen dürfe, den übrigen Teil aber
herausgeben müsse.
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Mit diesem Angriff ist die Rechtsbeschwerde im Verfahren
der Erinnerung nach § 766 ZPO ausgeschlossen. Mit der Erinnerung können nur
Anträge, Einwendungen und Erinnerungen geltend gemacht werden, die die Art und
Weise der Zwangsvollstreckung oder das bei ihr vom Gerichtsvollzieher zu
beobachtende Verfahren betreffen. Dagegen können mit der Erinnerung keine
materiell-rechtlichen Einwendungen gegen den durch den Vollstreckungstitel
rechtskräftig zuerkannten Anspruch geltend gemacht werden (vgl. BGH, Beschluss
vom 7. Mai 2009 - V ZB 180/08, JurBüro 2009, 442 Rn. 8; BGH, NJW-RR 2010, 281 Rn.
13). Die Vollstreckungsorgane sind wegen der Trennung von Erkenntnis- und
Vollstreckungsverfahren nicht befugt, den Vollstreckungstitel einer
materiell-rechtlichen Überprüfung zu unterziehen (vgl. BGH, Urteil vom 18.
November 1993 - IX ZR 244/92, NJW 1994, 461; vgl. auch BGH, Beschluss vom 16.
April 2009 - VII ZB 62/08, NJW 2009, 1887 Rn. 14). Die Prüfung, ob dem Gläubiger
als Vermieter ein Räumungsanspruch beschränkt auf das Haus U.-Straße 6 zusteht
oder der Räumungsanspruch nur einheitlich für den gesamten, auch das Erdgeschoss
des Hauses U.-Straße 4 umfassenden Mietgegenstand geltend gemacht werden kann,
setzt eine umfassende materiell-rechtliche Würdigung voraus, die nicht von den
Vollstreckungsorganen vorzunehmen ist.
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IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO § 100
Abs. 1 ZPO.